Anklage auf versuchten Mord?

admin am 22. Februar 2010 um 18:13

Bericht vom sechsten Prozesstag am 22. Februar 2010 in der Verhandlung um den Neonazi-Überfall in Pölchow 2007

Mit dem Abschluss der Beweisaufnahme wurde heute der Prozess um den Überfall von Neonazis auf eine Gruppe alternativer Jugendlicher im Sommer 2007 in Pölchow fortgesetzt. Der Angeklagte Dennis F. ließ eine Einlassung verlesen, Videoaufnahmen der Polizei wurden gezeigt und das Vorstrafenregister der Angeklagten vorgetragen.

In seiner abenteuerlichen Einlassung zum Ende des Prozesses, zu dem keine Beweisanträge mehr zu erwarten waren und nachdem er bereits alle Vorwürfe gegen sich gehört hat, stellte der Angeklagte Dennis F. aus Göttingen seine Version der Ereignisse vor. Am 30. Juni sei er mit einem Freund auf dem Weg zur NPD-Demo in Rostock gewesen und in Güstrow mit der Gruppe der mehr als 100 Rechten in den Zug gestiegen. Bereits dort will F. Linke erkannt haben, die ihn und seine Kameraden ausspioniert und dabei telefoniert hätten. In Schwaan seien dann „Linksextremisten“ zum Zug und in den Waggon geeilt, in dem sich eine einzelne kleine Gruppe von Rechten befunden habe. Um diese zu schützen, wollte F. zu diesen laufen, doch die Tür zwischen den Abteilen war versperrt. Deshalb sei er beim Halt in Pölchow aus dem Zug gesprungen, habe einen der Rechten aus dem benachbarten Waggon herausstürzen sehen und sei über den Bahnsteig zum benachbarten Waggon gehastet. Auf der Suche nach einer offenen Tür habe er Steinen ausweichen müssen, die aus dem Inneren des Waggons durch die Scheiben geflogen sein sollen.

Angeklagter inszeniert sich als Retter

Als einer der ersten sei F. mit „lauten Gebärden“ in den Zug gestürmt. Im Inneren hätten ihm „kampfbereite Linke“ den Weg versperrt, die – wie eine Wand und in Reihen gestaffelt– zum Schutz Frauen nach vorne gestellt hätten. Aus der zweiten Reihe sei ihm Pfefferspray in die Augen gesprüht worden. Trotzdem habe er bei seinem Vorstoß in den Waggon nicht nur genau Rucksäcke voller Steine erkennen können. Auch an einen der Nebenkläger, der ihn zudem geschlagen hätte, könne er sich erinnern. Nichtsdestotrotz habe er diesen überwältigen können und, als die Gefahr gebannt gewesen sei, den Waggon verlassen. Draußen habe ihm Michael Grewe für seinen Einsatz gedankt und Udo Pastörs sei sichtlich erleichtert gewesen, dass „Schlimmeres“ verhindert werden konnte. Der Vorsitzende der NPD-Landtagsfraktion habe dann auch vorgeschlagen, dass F. sich mit anderen Rechten nach Schwaan begebe, um dort Autos zu holen und mit diesen nach Rostock zu fahren. Bereits Michael Grewe hatte in seiner Einlassung am ersten Prozesstag behauptet, dass Pastörs sie aufgefordert hatte, zu Fuß ins fast 13 Kilometer und damit mehr als zwei Stunden entfernte Schwaan zu gehen. Von dort aus sollten sie dann weitere 20 Kilometer nach Güstrow fahren, um abgestellte Autos zu holen und mit diesen wiederrum die Rechten aus Pölchow schnellstmöglich zur Demonstration nach Rostock bringen. Auf diesem Weg, so auch F., seien sie dann von der Polizei aufgegriffen worden. Abschließend betonte F., dass ihm die Ermittlungen gegen ihn ein Rätsel seien. Aufgrund angeblicher Widersprüche in den Aussagen der Betroffenen forderte er für sich einen Freispruch ein. Fragen zu seiner Einlassung ließ er nicht zu.

Einer der Nebenklageanwälte stellte den Antrag, die Anklage gegen Michael Grewe, Dennis F. und vermutlich auch Stefan V. auf den Vorwurf des versuchten Mords auszudehnen. Nach Zeugenaussagen wurde sein Mandant verprügelt und mit Tritten misshandelt, als er schon bewusstlos am Boden lag. Wären die Angreifer nicht abgelenkt worden, so ein Betroffener, hätten sie ihn totgeschlagen. Die Rechten hatten geplant, gemeinschaftlich und aus niederen Beweggründen gehandelt, da sie ihre Opfer nur aufgrund von deren politischer Einstellung angegriffen hätten.

Polizeiaufnahmen dokumentieren Spuren der Gewalt

Im weiteren Prozessverlauf wurden Aufnahmen abgespielt, die den Einsatz der Polizei in Pölchow dokumentierten. Sie zeigten, wie die Beamten eine der Gruppen von Neonazis abseits des Tatorts stellten und sie kurz ihre Namen nennen ließen. Zugleich wurden der Zustand im Zug, eingeworfene Fensterscheiben, eine zerborstene Tür, Haarbüschel und Blutspuren, festgestellt. Im Gegensatz zu den Neonazis wurden die Opfer des Angriffs sehr intensiv von der Polizei untersucht, ihre Personalausweise und auch sie selbst wurden einzeln und detailliert gefilmt. Dabei wurde nicht nur deutlich, dass sie nicht einheitlich in schwarz gekleidet waren und auch keine Rucksäcke voller Waffen und Steine bei sich trugen. Zugleich waren ihre zahlreichen Verletzungen – unter anderem Prellungen, Schürfwunden, aufgeplatzte Lippen, verbundene Wunden – zu erkennen.

In der folgenden Aussprache betonte die Staatsanwältin, dass nun deutlich sei, dass die Fenster des Waggons von außen eingeworfen wurden, und sich eine weitere Auseinandersetzung darüber erübrigt. Einer der Nebenklageanwälte wies auf die Heterogenität der Betroffenen und ihre vielfarbige Kleidung hin. Thomas Penneke, Verteidiger von Michael Grewe, glaubte dagegen, eines der Opfer in „Kampfuniform“ ausmachen zu können. Über die Anfrage des Verteidigers von Dennis F., Sven Rathjens, eine Kopie des Films zu bekommen, traf das Gericht noch keine Entscheidung.

Angeklagte bei Polizei und Justiz einschlägig bekannt

Die Verlesung des Vorstrafenregisters offenbarte, dass die drei Angeklagten nicht wenige Erfahrungen mit Polizei und Justiz gemacht haben. So trug Michael Grewe etwa Tätowierungen mit verbotener Nazi-Symbolik auf einer Demonstration zur Schau und wurde wegen des Schmuggels einer Maschinenpistole, eines Revolvers und Munition und damit des Verstoßes unter anderem gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Stefan V. ist etwa mit fahrlässiger Körperverletzung, Sachbeschädigungen und Diebstählen aufgefallen, Dennis F. mit Körperverletzungen, Waffenbesitz, Sachbeschädigung, Beleidigung und der Verwendung von Nazi-Kennzeichen. Die Bewährungshelferin von Dennis F. ließ die zweifelhafte Einschätzung mitteilen, dass der Angeklagte – der beständig freundlich die Neonazis im Publikum grüßt, in den Verhandlungspausen engen Kontakt zu ihnen hält und dem Prozess mit einem steten breiten Grinsen und seiner hanebüchenen Einlassung begegnet – sich von der rechten Szene zu distanzieren scheine.

Auch heute fielen die anwesenden Neonazis im Saal wieder durch Pöbeleien und höhnische Bemerkungen gegen die Betroffenen des Angriffs auf und machten sich über deren Verletzungen lustig. Unter ihnen waren etwa Lutz Giesen oder David Petereit, der bereits eine fragwürdige Rolle im Prozess gespielt hatte.

Die abschließenden Plädoyers wurden heute nicht mehr gehalten, sondern werden in den nächsten drei Verhandlungstagen erwartet, abschließend wird das Urteil gesprochen. Diese sind für den 1. März ab 13 Uhr, den 5. und den 16. März geplant.

Weitere Informationen zu den Ereignisse in Pölchow ausführlich unter:

http://www.poelchow-prozess.info

Prozessgruppe Pölchow, 22. Februar 2010

Pölchow-Prozess: Nebenklageanwalt fordert Auswechslung der Staatsanwältin

admin am 16. Februar 2010 um 13:57

Schlamperei in Ermittlungen nach Neonazi-Überfall setze sich in Gerichtssaal fort

Pressemitteilung der Prozessgruppe Pölchow vom 16. Februar 2010

Einer der drei Nebenklageanwälte der Opfer des Neonazi-Überfalls in Pölchow im Sommer 2007 hat am heutigen fünften Verhandlungstag die Auswechslung der Staatsanwältin gefordert. Drei Tatverdächtigen – unter ihnen der Mitarbeiter der Schweriner NPD-Fraktion im Landtag Michael Grewe – sind nach einem Angriff aus einer Gruppe von mehr als 100 Rechten auf alternative Jugendliche der schweren Körperverletzung und des Landfriedensbruchs angeklagt. Damals waren auch die NPD-Landtagsabgeordneten Udo Pastörs, Stefan Köster und Tino Müller in der rechten Reisegruppe gewesen. Keiner der Betroffenen hat sie jedoch einschreiten oder ihre Anhänger beruhigen sehen.

Der Nebenklageanwalt begründete seinen Antrag mit mit mangelnden Interesse der Staatsanwältin an der Wahrheitsfindung im Verfahren. Im Prozess habe sie bisher nur zweimal das Wort ergriffen und sich dabei auf Gesichtspunkte bezogen, die die Angeklagten entlasten würden. Damit setze sich die Schlamperei von Polizei und Staatsanwaltschaft, von der die Ermittlungen nach dem rechten Überfall bisher gekennzeichnet gewesen seien, nun auch im Gerichtssaal fort. Es scheine, so hieß es weiter, als sei die Staatsanwaltschaft „auf dem rechten Auge blind“. Über den Antrag wurde bisher noch keine Entscheidung getroffen.

“Die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft waren von Beginn an fragwürdig”, kritisiert Franziska Holtz, Pressesprecherin der Prozessgruppe Pölchow. “Die Behörden scheinen den Schutzbehauptungen der NPD-Führung auf den Leim gegangen zu sein, lange wurde sogar gegen die Opfer des Angriffs ermittelt. Diesen nachlässigen Bemühungen ist es zu verdanken, dass nur drei der mutmaßlichen Täter überhaupt vor Gericht stehen und ein Großteil der Angreifer straflos davonkommen wird.”

Ausführliche Informationen sind im Prozessbericht zum fünften Verhandlungstag zu finden.

Nebenklageanwalt: Staatsanwaltschaft „auf dem rechten Auge blind“

admin am 16. Februar 2010 um 13:56

Bericht vom fünften Prozesstag am 16. Februar 2010 in der Verhandlung um den Neonazi-Überfall in Pölchow 2007

Einen Antrag auf Auswechslung der Staatsanwältin Tanja Bierfreund stellte am heutigen fünften Verhandlungstag einer der Nebenklageanwalte, der einen der Betroffenen des Neonazi-Überfalls auf eine Gruppe nicht-rechter Jugendlicher im Sommer 2007 in Pölchow vertritt. Weiterhin wurden Anträge der Nebenklage aus der letzten Verhandlung behandelt, eine geplante Einlassung des Angeklagten Dennis F. konnte nicht verlesen und ein Video von der Situation nach dem Überfall nicht gezeigt werden.

In seiner Kritik an der Staatsanwältin formulierte einer der Anwälte der Nebenklage, dass sie als Vertreterin der Anklage gegen die drei Tatverdächtigen – den NPD-Mitarbeiter Michael Grewe und die Rechten Dennis F. und Stefan V. – bisher kein Interesse an der Wahrheitsfindung gezeigt habe. Im Prozess habe sie bisher nur zweimal das Wort ergriffen und sich dabei auf Gesichtspunkte bezogen, die die Angeklagten entlasten würden. Damit setze sich die Schlamperei von Polizei und Staatsanwaltschaft, von der die Ermittlungen nach dem rechten Überfall bisher gekennzeichnet gewesen seien, nun auch im Gerichtssaal fort. Es scheine, so hieß es weiter, als sei die Staatsanwaltschaft “auf dem rechten Auge blind”. Die “Befangenheit” zeige sich außerdem darin, dass Staatsanwältin und Verteidiger dabei gesehen worden seien, wie sie gemeinsam Räume betreten haben, die nur für Mitarbeiter zugänglich seien. Über den Antrag wurde bisher noch keine Entscheidung getroffen.

Die angekündigte Einlassung des Angeklagten Dennis F., der sich bisher nicht zu den Vorwürfen geäußert hatte und von mehreren Betroffenen belastet worden ist, konnte heute nicht verlesen werden. Sein Anwalt hatte aus persönlichen Gründen wenig Zeit.

Neben der Verlesung einer Reihe von ärztlichen Attesten, die einmal mehr die Verletzungen einiger Betroffener wiedergaben, wurden heute mehrere Anträge der Nebenklage abgelehnt. Eine Reihe weiterer Zeugen sollte vorgeladen werden, um die Glaubwürdigkeit des Lokführers festzustellen, der im Prozess – im Unterschied zu vorhergegangenen Aussagen – die Gruppe der Angegriffenen als vermummt beschrieben hatte und dessen Interaktion mit der NPD fragwürdig scheint. Dies sah der Richter als unnötig an, da er den Lokführer für glaubwürdig erachtet. Die Vorladung von Sachverständigen, die feststellen sollten, dass die Scheiben des Zuges nicht von innen und damit von den Betroffenen zerstört worden sind, lehnte er ab, da dies irrelevant für die Vorwürfe gegenüber den drei Angeklagten sei.

Zudem wurde ein Antrag über Filmmaterial abgelehnt, das von einem der Neonazis beschlagnahmt worden war. Mehrere Zeugen hatten berichtet, dass die Rechten ihre Gewalt gefilmt hatten. Die sichergestellten Digitalaufnahmen jedoch zeigten nur private Bilder oder waren leer. Das Vorhaben, die leeren und möglicherweise unmittelbar nach der Tat gelöschten Bänder wiederherzustellen, lehnte der Richter als spekulativ ab. Andere für heute eingeplante Filmaufnahmen, die die Situation kurz nach dem Angriff zeigten, konnten trotz der langen Vorbereitungszeit nicht rechtzeitig von der Polizei herangeschafft werden.

Nach der Ankündigung der Anwälte der Angeklagten, keine Beweisanträge zu stellen, forderte der Richter zum nächsten Prozesstag am 22. Februar zur Vorbereitung der Abschlussplädoyers auf. Daraufhin machte sich Irritation breit, da vorher zumindest noch die Einlassung des Angeklagten Dennis F. gehört werden sollte.

Der Prozess wird am 22. Februar um 9.30 Uhr fortgesetzt.

Weitere Informationen zu den Ereignisse in Pölchow ausführlich unter:

http://www.poelchow-prozess.info

Prozessgruppe Pölchow, 16. Februar 2010

Neonazi-Szene verspottet Gewalt von Pölchow

admin am 4. Februar 2010 um 22:37

Verhandlung nach rechtem Überfall am Landgericht Rostock fortgesetzt

Pressemitteilung der Prozessgruppe Pölchow vom 04. Februar 2010

Begleitet von Störungen durch Neonazis hat heute vor dem Landgericht Rostock der vierte Verhandlungstag im Prozess um den rechten Überfall in Pölchow stattgefunden. Während Polizeibeamte und ein Betroffener ihre Erinnerungen an die Ereignisse wiedergaben, fielen die anwesenden Neonazis, darunter einige NPD-Funktionäre, durch Pöbeleien, Zwischenrufe und Rempeleien auf. Einer musste wegen der Zurschaustellung neonazistischer Symbolik den Saal verlassen.

Im Sommer 2007 waren aus einer Gruppe von mehr als 100 Neonazis, die auf dem Weg zu einer NPD-Demonstration in Rostock waren, nicht-rechte Jugendliche während eines Zugstopps in Pölchow brutal überfallen und mißhandelt worden. Schon damals waren die NPD-Landtagsabgeordneten Udo Pastörs, Stefan Köster und Tino Müller in der rechten Reisegruppe gewesen. Keiner der Betroffenen hat sie jedoch einschreiten oder ihre Anhänger beruhigen sehen.

Unter anderem ist nun der NPD-Mitarbeiter Michael Grewe der gefährlichen Körperverletzung und des schweren Landfriedensbruchs angeklagt. Mehrere Zeuginnen und Zeugen belasteten ihn bisher, auch heute berichtete ein Betroffener erneut von Kommandos, die Grewe gegeben habe. Dieser, gab er seine Eindrücke wieder, hatte die Situation genossen, sich augenscheinlich sehr wohl gefühlt und beständig gegrinst. Die eingesetzten Polizisten berichteten von der Beweissicherung nach den Ereignissen.

Noch mehr als bei den letzten Verhandlungstagen fielen heute die anwesenden Neonazis durch Pöbeleien, Zwischenrufe und Rempeleien auf. Einer von ihnen musste den Saal verlassen, nachdem das Gericht ihn auf sein T-Shirt mit dem Schriftzug der rechts-terroristischen Gruppierung „Combat 18“ (Code für: „Kampfgruppe Adolf Hitler“) angesprochen hatte. Andere verhöhnten den Betroffenen des Angriffs im Zeugenstand. Unter ihnen waren auch heute wieder NPD-Mitarbeiter wie Michael Gielnik, die für Unruhe sorgten. Im Internet verbreitet die Neonazi-Szene derweil Spott über den Prozess, schreibt die Ereignisse zu einem “linksextremistischen” Angriff auf friedliche “Nationalisten” um oder erinnert sich offen und mit Freunde an “die Anblicke blutender Zecken” (Szene-Slang für nicht-rechte Jugendliche).

“Nicht zuletzt der Spott und Hohn der Neonazis im Gerichtssaal und im Internet über die Opfer des Gewaltexzesses konterkarrieren die Schutzbehauptungen der NPD”, so Franziska Holtz, Pressesprecherin der Prozessgruppe Pölchow. “Stattdessen wird einmal mehr offenbar, dass brutale Angriffe auf die Feindbilder der Neonazi-Szene untrennbarer Teil ihres Verständnisses von Politik sind.”

Ausführliche Informationen sind im Prozessbericht zum vierten Verhandlungstag zu finden.

Weitere Beweisanträge im Prozess um Neonazi-Überfall

admin am 4. Februar 2010 um 22:34

Bericht vom vierten Prozesstag am 04. Februar 2010 in den Verhandlungen um den Neonazi-Überfall in Pölchow 2007

Begleitet von Störungen durch Neonazis hat heute vor dem Landgericht Rostock der vierte Prozesstag in der Verhandlung des rechten Überfalls in Pölchow im Juni 2007 stattgefunden. Während drei Polizeibeamte und ein Betroffener ihre Erinnerungen an die Ereignisse wiedergaben, fielen die anwesenden Neonazis, darunter einige NPD-Funktionäre, durch Pöbeleien, Zwischenrufe und Rempeleien auf. Einer musste wegen der Zurschaustellung neonazistischer Symbolik den Saal verlassen.

Die drei geladenen Polizisten gehörten zu den Beamten, die am Bahnhof von Pölchow eine halbe Stunde nach dem Überfall aus der Gruppe der mehr als 100 Neonazis auf die nicht-rechten Jugendlichen eintrafen. Obgleich sie sich angesichts der langen Zeit an Details oft nicht mehr erinnern konnten, schilderten sie ihre Aufgabe gegenüber den Rechten und den angegriffenen Betroffenen. Eine Gruppe von Polizisten stellte nach einem Hinweis von Zivilbeamten etwa zehn Personen, die sich weit abseits des Geschehens aufhielten – weil sie, wie sie mitgeteilt hätten, mit der Schlägerei nichts zu tun haben wollten. Weitere Fragen stellten die Beamten dieser Gruppe, in der sich auch der Angeklagte Dennis F. befand und die keine Verletzungen oder Beeinträchtigungen aufwies, nicht. An eine Durchsuchung konnte sich der Zeuge nicht erinnern.

Ein anderer Polizist nahm die Personalien der nicht-rechten Jugendlichen auf, von denen einige verletzt waren. An Waffen, Vermummung oder auffällige, einheitliche Kleidung – wie es von der Neonazi-Szene behauptet wird – erinnerte er sich dabei nicht. Die Beamten berichteten auch über Blutspuren im Zug und herausgerissene Haarbüschel.

Im Gegensatz zu den nicht-rechten Betroffenen des Angriffs, die ausführlich mit ihren Personalausweisen gefilmt wurden, beschränkte sich die Polizei bei den Neonazis auf Aufnahmen der Gesichter. Da einige von ihnen keine Ausweise hätten vorweisen können, so hieß es, habe man nicht darauf bestanden.

Betroffener: Angeklagter hat Gewalt genossen

Abschließend wurde ein weiterer Betroffener des Neonazi-Überfalls gehört. Er schilderte eine relativ ruhige Bahnfahrt, die in Pölchow jäh durch das Einwerfen der Scheiben und die in den Waggon eindringenden Neonazis unterbrochen wurde. Sie schlugen auf Teilnehmer seiner Reisegruppe ein und traten auch noch die bereits auf dem Boden Liegenden. Er selber hatte nach Schlägen Verletzungen im Gesicht und infolge eines Trittes Schmerzen an der Niere. Zwar konnte er unter den drei Angeklagten niemanden als Schläger identifizieren. An Michael Grewe, der kommandiert und die Opfer angeschrien hatte, erinnerte er sich jedoch. Dieser, gab er seine Eindrücke wieder, hatte die Situation genossen, sich augenscheinlich sehr wohl gefühlt und beständig gegrinst.

Im Verlauf der heutigen Verhandlung stellten die Anwälte der Nebenklage mehrere Beweisanträge. So sollen ein weiterer Polizeibeamter und ein Sachverständiger vorgeladen werden, um zu klären, dass die Scheiben des Zuges von den angreifenden Neonazis und nicht aus dem Waggoninneren von den Betroffenen zerstört wurden. Um weiterhin deutlich herauszustellen, dass die Gruppe der alternativen Jugendlichen nicht vermummt und aggressiv den Zug bestieg, soll ein Bahnangestellter angehört werden. Ein anderer Polizist soll außerdem zur Glaubwürdigkeit des am zweiten Verhandlungstag angehörten Zugfahrers sprechen, der in ersten Vernehmungen noch ganz andere Aussagen über die angegriffenen Jugendlichen gemacht hatte und sie vor Gericht als einheitlich und schwarz gekleidet dargestellt hatte. Auch eine weitere Betroffene des Überfalls soll geladen werden.

Über die Zulassung der Anträge entscheidet das Gericht am nächsten Verhandlungstag. Für diesen hat der Angeklagte Dennis F. zudem eine Einlassung angekündigt, möglicherweise wird auch von einem Neonazi beschlagnahmtes Videomaterial gesichtet. Als weitere Prozesstermine wurden der 16. und 22. Februar sowie der 1. März festgelegt.

Noch mehr als bei den letzten Verhandlungstagen fielen heute die anwesenden Neonazis durch Pöbeleien, Zwischenrufe und Rempeleien auf. Einer von ihnen musste den Saal verlassen, nachdem das Gericht ihn auf sein T-Shirt mit dem Schriftzug der rechts-terroristischen Gruppierung „Combat 18“ (Code für: „Kampfgruppe Adolf Hitler“) angesprochen hatte. Andere verhöhnten den Betroffenen des Angriffs im Zeugenstand. Die wiederholten Hinweise des Richters, dass Beteiligte an den Ereignissen in Pölchow dem Prozess nicht zuschauen sollen, da sie noch als Zeugen geladen werden könnten, missachteten die Neonazis – dabei stammten einige von ihnen aus Vorpommern und Westmecklenburg, von wo auch die Rechten damals anreisten. So waren heute etwa die NPD-Mitarbeiter und -Aktivisten Michael Gielnik, Franziska Vorpahl oder Mathias Krebs anwesend.

Der Prozess wird am 16. Februar um 9.30 Uhr fortgesetzt.

Weitere Informationen zu den Ereignisse in Pölchow ausführlich unter:

http://www.poelchow-prozess.info

Prozessgruppe Pölchow, 04. Februar 2010

Skandal im Pölchow-Prozess: Anwalt trifft Entlastungszeugen im Vorfeld

admin am 30. Januar 2010 um 03:34

Verteidiger trifft sich mit Zeugen – Neonazis geben Zeugen Einblick in Ermittlungsakten

Pressemitteilung der Prozessgruppe Pölchow vom 29. Januar 2010

Einen überraschenden Verlauf nahm der Prozess um den Neonazi-Angriff in Pölchow im Sommer 2007 am heutigen dritten Verhandlungstag. Einer von zwei vermeintlichen Entlastungszeugen aus der rechten Szene, die von der Verteidigung geladen worden waren, gab an, im Vorfeld mittels des bekannten Neonazis und NPD-Funktionärs David Petereit Einblick in die Ermittlungsakten erhalten zu haben. Außerdem haben sich auf seine Vermittlung hin die beiden Zeugen im Vorfeld ihrer Aussage vor Gericht mit einem verteidigenden Anwalt getroffen.

Weitere Betroffene berichteten heute von ihrer Zugfahrt nach Rostock, wo sie an Protesten gegen eine NPD-Demonstration teilnehmen wollten. Beim Halt in Pölchow wurden sie aus der Gruppe der mehr als 100 mitreisenden Rechten überfallen und brutal mißhandelt. Sie schilderten erneut, wie die Jugendlichen hilflos der Gewalt der Neonazis ausgeliefert waren. Die Angreifer hätten die “ganze Situation genossen”, gab ein Zeuge seine Eindrücke wieder.

Zugleich wurden heute von der Verteidigung zwei Zeugen vorgeladen, die kurz vor dem Angriff mit den nicht-rechten Jugendlichen verbal aneinandergeraten waren. In der Prozessbegleitung der Neonazi-Szene und der Einlassung des angeklagten NPD-Mitarbeiters Michael Grewe gilt dies als “antifaschistischer Angriff”, auf den die Rechten mit “Nothilfe” hätten reagieren müssen. In ihrer Befragung gaben die beiden jungen Männer, die sich selber der rechten Szene zurechnen, an, von dem NPD-Funktionär David Petereit auf ihre Bereitschaft zur Aussage im Prozess angesprochen worden zu sein. Einer von beiden gab zu, von ihm Einblick in die Anklageschrift gegen Michael Grewe erhalten zu haben, die Teil der Ermittlungsakten ist. Kurz vor ihrer Aussage, gaben sie übereinstimmend wieder, hat Petereit zudem ein gemeinsames Gespräch mit dem Verteidiger Sven Rathjens vermittelt. Dieser bestätigte vor Gericht anschließend ein Treffen in der vergangenen Woche. Absprachen will er zwar nicht getroffen, sondern nur ihre Erinnerung abgefragt haben.

“Neonazi-Szene und NPD arbeiten nicht nur in ihrer Propaganda an der Verdrehung der Tatsachen”, kommentiert Franziska Holtz, Pressesprecherin der Prozessgruppe Pölchow. “Heute wurden fragwürdige Methoden aufgedeckt. Mit den vermeintlichen Entlastungszeugen wird aber auch die Version der Täter unglaubwürdig.”

Als Anwalt von Michael Grewe, dessen wichtige Rolle bei dem Angriff sich immer deutlicher im Prozess abzeichnet, trat bisher das NPD-Landtagsmitglied Michael Andrejewski auf. Die Verteidigung wurde heute durch den Rostocker Anwalt Thomas Penneke ergänzt. Penneke ist in der Vergangenheit zunehmend als gefragter Verteidiger der Neonazi-Szene aufgefallen. Er arbeit mit Sven Rathjens in einer Kanzlei und ist auch bereits als Anwalt von David Petereit aufgetreten.

Ausführliche Informationen sind im Prozessbericht zum dritten Verhandlungstag zu finden.