Bericht vom siebenten Prozesstag am 01. März 2010 in der Verhandlung um den Neonazi-Überfall in Pölchow 2007
Haftstrafen, so die Nebenklage in der heutigen Verhandlung im Pölchow-Prozess, wären ein deutliches Signal an die Öffentlichkeit, dass rechte Gewalt nicht ungestraft bleibt. Nach dem Ende der Beweisaufnahme in der Verhandlung des Überfalls von Neonazis auf eine Gruppe nicht-rechter Jugendlicher in Pölchow im Sommer 2007 hielten heute die Staatsanwältin und die Anwälte der Betroffenen ihre Plädoyers. Während diese auf die Brutalität der Gewalttat, die Bedeutung der Ideologie und die ausbleibende Reue der Angeklagten aufmerksam machten, forderte die Vertreterin der Anklage Bewährungsstrafen für Michael Grewe und Dennis F.
Zum Beginn des heutigen siebenten Verhandlungstages lehnte das Gericht den Antrag eines der Nebenklageanwälte auf Ergänzung der Anklage um den Vorwurf des versuchten Mordes ab. Außerdem machte die zuständige Jugendgerichtshilfe auf die „erheblichen Reifedefizite“ und die „verzögerte Schulentwicklung“ des Angeklagten Stefan V. aufmerksam. Im Falle einer Verurteilung erfolgen würde, müsste berücksichtigt werden, dass er die Tat nicht alleine und aus eigenem Antrieb begangen hätte. Sie regte eine Verwarnung an.
Staatsanwältin auf dem rechten Auge blind?
In ihrem Plädoyer schilderte die Staatsanwältin den Hergang der Ereignisse, der mit dem Einstieg der nicht-rechten Gruppe von Jugendlichen in jene Regionalbahn begann, in der schon mehr als einhundert Rechte auf dem Weg zur NPD-Demonstration in Rostock saßen. Ein geplantes Vorgehen der alternativen Gruppe zu einem Angriff habe es nicht gegeben, allerdings sei es in ihrem Waggon mit der Aufforderung an einige Rechte, diesen zu verlassen, wohl zu einer ersten Provokation gekommen. Diese würde jedoch nicht die Gewalt rechtfertigen, die anschließend stattfand: Während ein Großteil der Rechten auf dem Bahnsteig verblieb, seien etwa zehn in den Zug gestürmt und hätten dort die Insassen bedroht und auf sie eingeschlagen. Unter diesen seien auf jeden Fall die drei Angeklagten gewesen. Mehrere Auseinandersetzungen hatten sich ergeben, bei denen die Rechten auch mit Zaunlatten auf ihre Opfer eingeschlagen und die Scheiben des Zuges zerstört hätten. Die bedeutende Rolle von Dennis F. und Michael Grewe bei der Gewalt habe durch eine Vielzahl von Zeugenaussagen deutlich gemacht werden können, letzterer habe zudem Kommandos an die Gruppe gegeben. Bis zum Rückzug der Rechten seien diese beiden die Organisatoren des Angriffs gewesen, die entscheidend gehandelt hätten.
Obgleich es als sicher gelten könne, dass Stefan V. an den Auseinandersetzungen beteiligt war, sei ihm keine genaue Tat nachzuweisen und er deshalb freizusprechen. Für Michael Grewe forderte sie ein Jahr und vier Monate in einer Bewährungszeit von drei Jahren. Im Fall von Dennis F. plädierte sie für eine Strafe von zwei Jahren, ausgesetzt auf eine Bewährungszeit von vier Jahren. Letzterem wurde zu Gute gehalten, dass er seine derzeitigen Bewährungsauflagen erfülle und sich in der Bewährungszeit nichts zu Schulden habe kommen lassen. Zudem schenkte die Staatsanwältin Tanja Bierfreund der Behauptung Glauben, dass Dennis F. sich von der rechten Szene distanziere. Wenig Beachtung bei dieser Einschätzung scheint die Staatsanwältin seinem engen und freundschaftlichen Kontakt mit organisierten Neonazis beigemessen zu haben. So war auch seine Einlassung unmittelbar nach dem vergangenen Prozesstag im Volltext auf einer einschlägigen Internetseite der norddeutschen Neonazi-Szene erschienen.
Gewalt immanenter Bestandteil rechter Ideologie
Der erste Nebenklageanwalt der Betroffenen machte in seinem Schlusswort auf die Ermittlungspannen der Polizei aufmerksam, die von Anfang an von einer wechselseitigen Schlägerei ausgegangen war und die Tatverdächtigen zuerst unter den Angegriffenen gesucht hatte. Darunter litten nicht nur die Ermittlungen gegen die eigentlichen Täter, sondern auch die mediale Öffentlichkeit hatte in weiten Teilen diese falsche Version der Ereignisse übernommen. Nichtsdestotrotz haben die beiden Angeklagten Michael Grewe und Dennis F. diese absurden Behauptungen in ihren Einlassungen aufrecht zu erhalten versucht. Dass sie solchen „großen Käse“ dem Gericht verkaufen wollen, müsste strafverschärfend in das Urteil einfließen. In seiner Zusammenfassung der Ereignisse in Pölchow, die damit begonnen hätten, dass die kleinere rechte Gruppe „mehr oder weniger freiwillig“ das Abteil der nicht-rechten Jugendlichen verlassen hätte, machte er einmal mehr deutlich, dass es sich um keinen in irgendeiner Form geplanten Überfall auf die Neonazis gehandelt haben kann. Stattdessen haben die Rechten angegriffen und ihre Opfer brutal verprügelt. Für die Angeklagten, die aktive Mitglieder oder Anhänger der Neonazi-Szene seien, gäbe es gemäß ihrer Anschauungen auch gar keinen anderen Weg, als Politik mit Gewalt durchzusetzen. So hat es sich bei dem Überfall nicht um „irgendeine Wirtshausschlägerei“ gehandelt: Die hier deutlich gewordene Gewalt ist „ideologieimmanent“. Er betonte außerdem, dass ein Ausstieg von Dennis F. aus der rechten Szene unglaubwürdig ist, da er sich nicht – etwa durch Kooperation in der Verhandlung – von dieser distanziert hat, sondern zu den Neonazis unter den Zuschauern ein freundschaftliches Verhältnis pflegt. Zudem ist für den Nebenklagevertreter das stete Grinsen der Angeklagten Dennis F. und Michael Grewe, die sich zudem vor Gericht als Opfer stilisierten, Ausdruck dafür, dass diese ihre Taten nicht bereuen.
Da es keine Hoffnung gibt, dass die Angeklagten ihre Meinung ohne Gewalt ausdrücken werden, forderte der Anwalt Haftstrafen nicht unter zwei Jahren. Mit diesen muss ein deutliches Zeichen gesetzt werden, dass rechte Ideologie nicht aktiv auf der Straße umzusetzen sei – was müsse noch passieren, fragte er, wenn nicht auf diese Brutalität eine Haftstrafe folge? Sollte diese nicht erlassen werden, plädierte er für „fühlbare Bewährungsauflagen“ in Form von Geldstrafen, die dem Verein zur Betreuung Betroffener rechter Gewalt LOBBI zukommen sollen.
Angeklagte hätten gelogen, dass sich die Balken biegen
Dass Grewe prügelnd durch den Zug gezogen sei, betonte die folgende Anwältin der Nebenklage in ihrem Schlusswort. Die Zeugenaussagen, die Videoaufnahmen und das Ausmaß der Zerstörung zeigen die Rücksichtslosigkeit der Gewalttäter auf. Klare Worte fand die Nebenklagevertreterin für die „Einlassungspapiere“, die sie als „Lügenkonstrukte“ zurückwies und dahingehend monierte, dass „Vernehmungen von Angeklagten (…) mündlich zu erfolgen“ haben. Im Weiteren zeigte sie Widersprüche etwa in den Aussagen über die Flucht auf: „Es ist ein Wunder, dass das Landgericht Rostock noch steht, weil sich die Balken hier so gebogen haben.“ Dahingehend sprechen die schriftlichen Einlassungen gegen die Angeklagten. Im ersten Satz der Einlassung von Michael Grewe, der auf seine Rolle im „Ordnungsdienst“ der NPD anspielt, machte die Anwältin vor dem Hintergrund seiner brutalen Gewalttaten gar einen möglichen „Verbotsgrund für die NPD“ aus. Ausrufe Grewes im Zug haben den Eindruck vermittelt, dass es ihm um Rache für Proteste gegen Neonazi-Aktion in anderen Städten geht. Da Michael Grewe und Dennis F. – dessen Distanzierung von der rechten Szene unglaubwürdig ist – bereits einschlägig vorbestraft sind, forderte sie Haft nicht unter zwei Jahren.
Der dritte Nebenklageanwalt der Betroffenen forderte wegen Mittäterschaft auch eine Strafe für Stefan V. Er wies auf den paramilitärischen Hintergrund des Angriffs hin, die organisiert ausgeführt worden sei, und fragte weiterhin nach der Rolle des Schweriner NPD-Fraktionsvorsitzenden Udo Pastörs, der die Rechten zum Entfernen von Tatort aufgefordert hatte. Strafmildernde Umstände für die Taten oder eine positive Prognose für die Angeklagten sah der Nebenklagevertreter nicht. Angesichts der rechten Ideologie und der Schwere des Angriffs sind Bewährungsstrafen „indiskutabel“, er forderte für Grewe und F. Freiheitsstrafen von fünf Jahren. Bei Menschen dieser Gesinnung, so hieß es, „ist Hopfen und Malz verloren“.
Auch heute machten sich die anwesenden Neonazis im Gerichtssaal wieder über den Prozess lustig. Unter den Rechten vor allem aus dem Umkreis Rostocks und Ostvorpommern befand sich auch Stefan Köster, Landesvorsitzender und Landtagsmitglied der NPD. Der wegen Körperverletzung vorbestrafte Neonazi, der ebenfalls der Reisegruppe der Rechten angehörte, hatte am 30. Juni 2007 unmittelbar nach dem Gewaltexzess als Redner auf der NPD-Demonstration in Rostock den Tathergang aus Sicht der NPD geschildert und das Märchen von einem Anschlag linker „Terroristen“ verbreitet.
Die Plädoyers der Verteidigung und das Urteil sind für die nächsten beiden Verhandlungstage am 5. und am 16. März geplant.
Weitere Informationen zu den Ereignisse in Pölchow ausführlich unter:
http://www.poelchow-prozess.info
Prozessgruppe Pölchow, 01. März 2010