Vermeintliche Entlastungszeugen stellen Neonazi-Szene und Verteidiger bloß

admin am 30. Januar 2010 um 03:33

Bericht vom dritten Prozesstag am 29. Januar 2010 in den Verhandlungen um den Neonazi-Überfall in Pölchow 2007

Einen überraschenden Verlauf nahm der heutige dritte Verhandlungstag im Prozess um den Neonazi-Angriff auf eine Gruppe von nicht-rechten Jugendlichen im Juni 2007 in Pölchow gegen drei Angeklagte, unter anderem den NPD-Mitarbeiter Michael Grewe. So wurde nicht nur offenbar, dass einer der Verteidiger sich im Vorfeld mit zwei Zeugen aus der rechten Szene getroffen hat. Auch kam heraus, dass der bekannte Neonazi-Funktionär und NPD-Mitarbeiter David Petereit mindestens einen der Zeugen in der Anklageschrift lesen ließ, die Teil der Ermittlungsakten ist. Außerdem schilderten auch heute wieder mehrere Betroffene den brutalen Angriff der Neonazis aus der Reisegruppe von mehr als 100 Rechten.

Die beiden Zeugen Stefan W. und Siegfried H. wurden von der Verteidigung geladen. Sie hatten bisher keine Aussagen bei der Polizei gemacht, sie als nicht wichtig erachtet, wie W. meinte. Zusammen mit Karl J., der beim letzten Verhandlungstag aussagte, und anderen Rechten sollen die beiden auf dem Weg zur NPD-Demo gewesen sein und sich im Waggon der nicht-rechten Jugendlichen aufgehalten haben. In den Texten der Neonazi-Szene und der NPD und der Einlassung Grewes am ersten Verhandlungstag ist von dieser Gruppe von Rechten die Rede, die von den „Linksextremisten“ attackiert worden sein sollen. Daraufhin hätten die Neonazis aus dem anderen Waggon „Nothilfe“ geleistet, was ihnen nun als Angriff angelastet werden würde.

Unmissverständlich machten die beiden Zeugen klar, dass sie sich der rechten Szene zurechnen. Aus Teterow kommend seien sie in Güstrow in den Zug nach Rostock gestiegen, der sie zur NPD-Demonstration bringen sollte. Stefan W. aus Gnoien gab an, dass sie nach dem Einstieg der nicht-rechten Jugendlichen in Schwaan von diesen aufgefordert worden seien, den Waggon zu verlassen; dann würde ihnen nichts passieren. Einer aus ihrer Gruppe sei jedoch am Kragen gepackt und seine Jacke der rechten Modemarke „Thor Steinar“ beschädigt, ein anderer angespuckt worden. W. erwähnte dabei mehrmals den mit ihm befreundeten Karl J., der mit CS-Gas angegriffen worden sei. J. allerdings sagte beim zweiten Verhandlungstag aus, dass er bis auf eine andere Person niemanden aus der Gruppe gekannt haben will, selber nicht verletzt worden sei und niemanden benennen könne, der bei dem vermeintlichen „antifaschistischen“ Angriff angegangen worden sei.

Nach dem Ausstieg aus dem Waggon in Pölchow, so W., habe er auf dem Bahnsteig Michael Grewe getroffen, der sich nach im Zug verbliebenen Rechten erkundigt und anschließend auf der Suche nach ihnen die Bahn betreten hätte. Dabei hätten ihn die „Linken“ angegriffen und aus dem Zug mit Steinen gegen die Fenster geworfen, obgleich er selbst keine fliegenden Steine gesehen hätte. Auch vom folgenden Geschehen will W. nichts mehr mitbekommen haben, als er sich wartend die Zeit auf dem Bahnsteig vertrieb.

Akteneinsicht für die Entlastungszeugen?

Zum Prozess gekommen, äußerte W. plötzlich in der folgenden Befragung, sei er durch den NPD-Mitarbeiter David Petereit. Der habe auch ein Treffen am vorherigen Freitag mit Sven Rathjens vermittelt, dem Anwalt des Angeklagten Dennis F., der ihn und H. zusammen über die Ereignisse in Pölchow befragt haben soll. Durch Petereit habe er auch in der Anklageschrift gegen Michael Grewe lesen können, die Teil der Ermittlungsakten ist, und wisse, worum es im Verfahren geht.

In die Unruhe hinein, die ob dieser Aussagen entstand – schließlich sollen Absprachen von Angeklagten und Zeugen vor Gericht vermieden werden –, bestätigte Rathjens das Gespräch mit den beiden Rechten. Absprachen will er dabei nicht getroffen haben.

Nach Pausen und der Befragung eines Betroffenen kam Siegfried H. aus Rostock zu Wort, der aus Teterow stammt und in der rechten Gruppe mit Stefan W. und Karl J. gewesen sein soll. Auch er kam nicht umhin, das Treffen mit dem Anwalt zu bestätigen. Ansonsten gab auch er an, dass seine Gruppe zum Verlassen des Waggons aufgefordert sein soll. Einer seiner Bekannten habe dabei einen Schlag auf den Hinterkopf bekommen, die Kleidung eines anderen sei beschädigt worden. Als sie in Pölchow ausgestiegen seien, habe Michael Grewe sie draußen schon angesprochen. Sie wären dann etwas zur Seite gegangen und hätten von den anschließenden Ereignissen nichts bemerkt.

In Details widersprachen sich die bisher gehörten Zeugen aus dieser Gruppe, obgleich sie eine Version der Ereignisse schilderten, die ziemlich kompatibel war mit der Einlassung Michael Grewes vom ersten Prozesstag. Jener Michael Grewe, der wie auch der von den beiden Zeugen benannte David Petereit Mitarbeiter und Landesvorstandsmitglied der NPD ist.

Weniger überraschend war, dass die Verteidigung von Grewe neben dem NPD-Landtagsabgeordneten Michael Andrejewski nun auch Thomas Penneke umfasst. Der Rostocker Anwalt ist in den letzten Jahren zunehmend als Anwalt der rechten Szene aufgefallen, der Neonazi-Kader vor Gericht vertritt. Mit Rathjens sitzt er in einer Kanzlei und trat auch schon als Anwalt von David Petereit auf.

„Es war ein einseitiger Angriff“

Neben den rechten Zeugen kamen heute weitere drei Betroffene aus der nicht-rechten Jugendgruppe zu Wort. Einer von ihnen berichtete, wie er unter Rufen wie „Jetzt seid ihr dran!“ von den Neonazis misshandelt wurde und sie die Jugendlichen an den Haaren aus dem Zug zerrten, so dass sogar Haarbüschel herausgerissen wurden. Alle waren wie besessen, erinnerte er sich. Anschließend haben einige sich umgezogen, bevor sie unter Zurufen in den nahen Wald flüchteten.

Wie er wies auch eine andere Betroffene auf die Rolle Grewes bei dem Überfall hin, der den Neonazis Kommandos gegeben hatte. Sie erinnerte sich an einen jungen Mann, der reglos auf dem Boden lag und auf den die Angreifer immer wieder eintraten. Eine Frau, die vor ihr stand und die zu beschwichtigen versuchte, brach nach einem heftigen Tritt in den Bauch zusammen. Die Zeugin konnte aus dem Zug fliehen, war aber panisch und hyperventilierte. Wir kamen uns hilflos vor, schilderte sie ihre Eindrücke, da wir uns dem Willen dieser Gruppe ausgesetzt sahen. Sie betonte auf Nachfragen, dass es keine Auseinandersetzung, sondern ein einseitiger Angriff war.

Zugleich erinnerte sie sich an die kleine Gruppe der Rechten auf einer anderen Ebene ihres Abteils, die den Waggon in Ruhe verlassen hätte. Ein dritter Zeuge wusste mehr über die Situation zu erzählen: Die Gruppe ist aufgefordert worden, zu gehen, um Konflikte zu vermeiden. Ihre Kleidung und Symbolik, die rechte Propaganda wiedergibt, sei als Provokation zu werten. Gewalt oder Pfefferspray hat er nicht wahrgenommen, stattdessen erinnerte ihn die unspektakuläre Aktion an einen Videospot über Zivilcourage.

Der Betroffene schilderte eindrücklich die Gewalt der Neonazis und hatte auch Grewe beim wiederholten Zuschlagen beobachtet. Ein junger Mann, erzählte er, war auf dem Bahnsteig andauernd am Boden liegend getreten worden. Als ein Kind zu weinen begann, konnte er ihn wegzerren; die Ablenkung, vermutete er, hat ihm angesichts der hemmungslosen Gewalt das Leben gerettet. Waren sie einmal aus dem Zug gezerrt, wurden die Betroffenen auf dem Bahnsteig weiter misshandelt und an Armen und Beinen über einen nahen Zaun geworfen.

Alle der drei gehörten Betroffenen gaben wieder, wie unkoordiniert die Polizei vor Ort reagiert hat. Angesichts der Eindrücke vor Ort, meinte einer, hätte den Beamten die Situation ziemlich klar sein müssen. Stattdessen jedoch hatte sie nicht so gewirkt, erzählte ein anderer, als ob sie nach Tatverdächtigen suchen würde. Auch im Nachhinein schienen die Ermittlungen eher halbherzig: Fotos von den Tatverdächtigen, die den Zeugen vorgelegt worden waren, waren häufig unbrauchbar und nicht gerichtsverwertbar.

Staatsanwältin lehnt Untersuchung von Videoaufnahmen ab – Neonazis verursachen Tumult im Gerichtssaal

In ihren Schilderungen erinnerten sie wiederholt an Filmaufnahmen und Fotos, die Neonazis von dem Angriff gemacht hatten, insbesondere wurde wiederholt eine Kamera mit Stabstativ angesprochen. Die Polizei hatte es damals unterlassen, Kameras und Handys zu beschlagnahmen – bis auf drei Bänder mit Digital-Aufnahmen, wie heute herauskam, die leer oder mit unverfänglichem Material bespielt sein sollen. Die Nebenklage beantragte, diese genauer zu überprüfen und gelöschte Daten wiederherzustellen, um genaueren Einblick in die Ereignisse in Pölchow über das Tatgeschehen zu bekommen. Angesichts der Schwere dieser Tat, so ein Anwalt der Nebenklage, sollte man zu ihrer Aufklärung nichts unversucht lassen. Doch trotz der Vielzahl von Berichten von Betroffenen über Aufnahmen der Neonazis lehnte die Staatsanwältin dieses Ansinnen heute als „unnötig“ ab.

Auch heute wieder beobachtete eine Gruppe aus Neonazi-Aktivisten aus dem NPD-Umfeld aus Rostock sowie Westmecklenburg und Vorpommern den Prozess. Unter ihnen waren auch der NPD-Landtagsabgeordnete Tino Müller und sein Bruder Marco, die damals in der Gruppe der zugreisenden Rechten waren. Der Aufforderung des Richters, dass alle daran Beteiligten den Saal verlassen sollten – schließlich könnten sie noch als Zeugen vorgeladen werden – leisteten sie jedoch keine Folge und blieben unauffällig. Stattdessen machten andere Neonazis auf sich aufmerksam und versuchten, Freundinnen und Freunde der Betroffenen anzugehen, so dass schließlich sogar die anwesende Polizei einschreiten musste.

Der Prozess wird am 04. Februar um 11.30 Uhr fortgesetzt.

Weitere Informationen zu den Ereignisse in Pölchow ausführlich unter:

http://www.poelchow-prozess.info

Prozessgruppe Pölchow, 29. Januar 2010

Pölchow-Prozess: Zeugen belasten Angeklagte schwer

admin am 26. Januar 2010 um 01:54

Prozessgruppe weist auf Neonazi-Hintergrund von Michael Grewe hin

Pressemitteilung der Prozessgruppe Pölchow vom 25. Januar 2010.

Im heutigen zweiten Prozesstag um den Neonazi-Angriff in Pölchow im Sommer 2007 haben mehrere Zeugen die beiden Angeklagten Michael Grewe und Dennis F. schwer belastet. Zugleich sagten sie aus, schon vor Ort und unmittelbar nach der Gewalttat die Polizei auf Grewe hingewiesen zu haben. Die jedoch ließ den bundesweit bekannten Neonazi im Frühjahr 2008 als unbekannt zur Fahndung ausschreiben.

Aus einer Gruppe von mehr als 100 Neonazis waren im Juni 2007 etwa 60 nicht-rechte Jugendliche auf dem Weg zum Protest gegen eine NPD-Demonstration in Pölchow bei Rostock angegriffen und mißhandelt worden. Drei der Beteiligten sind nun wegen schweren Landfriedensbruch und Körperverletzung vor dem Landgericht Rostock angeklagt, unter ihnen der Mitarbeiter der NPD-Landtagsfraktion Michael Grewe. Weitere Zeugen berichteten heute erneut, dass als Grewe Rädelsführer aufgetreten war, Betroffene geschlagen und Kommandos gerufen habe. Die eintreffende Polizei wurde noch in Pölchow auf den Angriff und den markanten Täter hingewiesen, hätte die Betroffenen jedoch ignoriert. Einen ausführlichen Prozessbericht und weitere Informationen über Michael Grewe sind im Anhang dieser Email zu finden.

„Michael Grewe spielt seit Jahren eine wichtige Rolle im Netzwerk der Neonazi-Szene Norddeutschlands“, teilt Florian Schmied, Pressesprecher der Prozessgruppe Pölchow, mit. „Dass der Rostocker Polizei eine so prominente Figur unbekannt war, illustriert auf bittere Weise die Nachlässigkeit in ihren Ermittlungen nach dem Angriff in Pölchow. Zugleich wirft die Rolle Grewes in der NPD ein Schlaglicht auf die enge Verzahnung der rechten Partei mit gewalttätigen Neonazi-Schlägern.“

Die NPD-Landtagsabgeordneten Udo Pastörs, Stefan Köster und Tino Müller waren beim Angriff in Pölchow zugegen, wirkten jedoch nicht beruhigend auf ihre prügelnden Anhänger ein. Stattdessen offenbart sich zunehmend eine fragwürdige Rolle von NPD-Fraktionschef Udo Pastörs: So gab Grewe in einer Einlassung an, dass dieser ihn beauftragt hätte, sich nach dem Angriff vom Tatort zu entfernen. In der heutigen Verhandlung berichtete der Lokführer des Regionalexpress’, dass Pastörs ihn vor dem Eintreffen der Polizei zur Weiterfahrt gedrängt hatte.

Michael Grewe hat seine Neonazi-Karriere in Lüneburg in einer Kameradschaft und einem rechten Szene-Geschäft begonnen. Wegen Waffenbesitzes wurde er schon einmal verurteilt, später wurde das Gutshaus Amholz in Westmecklenburg, das er zusammen mit Thomas Wulff bewohnt, aufgrund des volksverhetzenden Schriftzuges „Juden raus“ auf einer Neonazi-Zeitung durchsucht. Grewe war in der mittlerweile verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ aktiv, Kommunalabgeordneter für die NPD in der Gemeinde Teldau und arbeitet für die NPD-Fraktion im Schweriner Landtag.

Ein ausführlicher Prozessbericht und Hintergrundinformationen über Michael Grewe sind auf der Website der Prozessgruppe Pölchow einsehbar.

Dennis F. und Michael Grewe der Rädelsführerschaft belastet

admin am 26. Januar 2010 um 01:51

Bericht vom zweiten Prozesstag am 25. Januar 2010 in den Verhandlungen um den Neonazi-Überfall in Pölchow 2007

Im Prozess um den Überfall von Neonazis auf eine Gruppe nicht-rechter Jugendlicher im Sommer 2007 in Pölchow fand heute der zweite Verhandlungstag vor dem Landgericht Rostock statt. Nachdem in der vergangenen Woche der angeklagte Neonazi Michael Grewe über seinen Anwalt eine Einlassung verlesen ließ und drei der Betroffenen, die als Nebenkläger auftreten, befragt wurden, wurden heute weitere Zeugen gehört.

Neben einem der betroffenen Nebenkläger, der seine Schilderungen vom letzten Mal fortsetzte, wurden vier weitere Jugendliche aus der Gruppe der Angegriffenen als Zeugen angehört. Ihre Aussagen machten ein weiteres Mal die Brutalität der Neonazis und die Beklemmung und Panik der Betroffenen deutlich, die der Gewalt schutzlos ausgeliefert waren. Sie schilderten, wie sie in Schwaan in den Zug Richtung Rostock einstiegen, um an den Protesten gegen den NPD-Aufmarsch teilzunehmen. Unruhe machte sich breit, als die Ersten aus der Gruppe die mitreisenden Neonazis wahrnahmen; sie steigerte sich in Panik, als die Rechten unter Drohungen versuchten, in den Waggon einzudringen. Beim Halt in Pölchow schließlich öffneten sie die Außentüren und betraten „Schulter an Schulter“, wie ein Zeuge sich erinnerte, in den Zug – an der Spitze Michael Grewe. Zusammen mit den anderen Rechten schlug er auf die Betroffenen ein, fiel aber zugleich durch Kommandos an die anderen Neonazis und Drohungen gegenüber den Opfern auf. „Hier kommt ihr nicht mehr raus!“, erinnerte sich ein Zeuge, schallte es aus der Gruppe. Scheiben barsten, die Angreifer versperrten unter hämischen Bemerkungen den Flüchtenden den Weg aus dem Zug. Gezielt wurde ihr Waggon nach Opfern durchsucht.

Weitere Zeugen gehört

Ein Betroffener berichtete, wie er noch versucht hatte, eine Zwischentür aus Glas zuzuhalten. Sie wurde jedoch von den Neonazis zerschlagen und er in den Mob der Angreifenden gezogen, wobei er sich eine fünf Zentimeter tiefe Schnittwunden zuzog. Ein anderer Zeuge erinnerte sich, wie einer Frau „mit voller Wucht“ in den Bauch getreten wurde. Einzeln, so einer der Jugendlichen, zogen die Rechten ihre Opfer auch an den Haaren aus der Gruppe der Angegriffenen, schlugen auf sie ein und warfen sie dann aus dem Zug. Auf dem Bahnsteig scharrten sich wiederum Rechte in Trauben um die Betroffenen und prügelten auf sie ein. Die Betroffenen erzählten, dass sie sich lange nach dem Angriff noch in ärztliche und auch psychologische Behandlung begeben mussten.

Mehrere Zeugen betonten erneut die besondere Rolle von Michael Grewe, der als einer der Anführer und Initiator der Gewalt aufgefallen war. So berichtete einer der Betroffenen, wie Grewe eine Gruppe von Jugendlichen aufforderte, den Zug zu verlassen. Auf ihre Frage, ob ihnen dann nichts passiere, antwortete er, dass er das nicht versprechen könne. Während der ganzen Zeit hatte er das hämische Grinsen im Gesicht, das er auch im Prozess zur Schau trägt.

Zugleich wurde am heutigen Verhandlungstag der Angeklagte Dennis F. von zwei Zeugen belastet. Er hat, so hieß es, Anweisungen gegeben, die späteren Opfer des rechten Übergriffs im Zug von anderen Fahrgästen getrennt und selbst auf sie eingeschlagen.

Das fragwürdige Verhalten der Polizei am Ort des Geschehens wurde einmal mehr von Betroffenen geschildert. Unmittelbar nach deren Eintreffen haben sie den Beamten die Situation geschildert und sogar auf Täter wie Michael Grewe hingewiesen. Anstatt jedoch auf die Berichte einzugehen, wurden die Opfer des Überfalls erkennungsdienstlich behandelt, als ob sie selbst Angreifer gewesen seien.

Neben den Betroffenen wurden auch mehrere andere Personen aus dem Zug gehört. Ein junger Mann berichtete, wie „gruselig“ die in Güstrow einsteigende Gruppe der Rechten auf ihn gewirkt hat. Er erinnerte sich an Grewe, das Erlebnis der Auseinandersetzungen und daran, dass die Neonazis auch andere Fahrgäste angepöbelt hatten.

Der Lokführer berichtete, wie er der Notbremsung nachgegangen war und dabei die Auseinandersetzungen erlebt hatte. Während er seiner Dienststelle von den Ereignisssen berichtete, hätte ihn Udo Pastörs angesprochen und sich als Landtagsabgeordneter vorgestellt. Er hätte ihn aufgefordert, unverzüglich nach Rostock weiterzufahren, da er sonst für die Sicherheit nicht garantieren könne – noch bevor die Polizei eingetroffen war.

Pastörs drängte zur Weiterfahrt

Pastörs, der in der Einlassung von Michael Grewe am ersten Prozesstag diesen bereits aufgefordert haben soll, sich vom Tatort zu entfernen, spielte auch in der Aussage einer weiteren Zeugin eine fragwürdige Rolle. Nadine B. gab an, auf dem Weg nach Rostock gewesen zu sein und sich im Abteil der nicht-rechten Reisegruppe aufgehalten zu haben. Nach den Ereignissen redete sie noch während der Weiterfahrt nach Rostock mit Udo Pastörs, der ihre Aussagen auch mitgeschrieben haben soll. Die NPD gab wenige Tage nach dem Angriff auf ihrer Website ausführlich Angaben von B. wieder – nach denen „Linke“ sie etwa belästigt und sich auf sie gesetzt hätten – von denen sie heute jedoch in weiten Teilen nichts mehr wissen wollte.

Im Anschluss an das Gespräch mit Pastörs meldete sich B. in Rostock bei Polizeibeamten und machte noch mehrmals Aussagen. Darin und auch in der heutigen Verhandlung widersprach sie sich mehrmals: So will sie beobachtet haben, wie die nicht-rechten Jugendlichen mit Rucksäcken voller Steine den Zug betreten haben, um dann während der Fahrt noch vor dem Halt in Pölchow damit in den Abteilen „hin und her“ zu werfen. Später gab sie an, keine Steinwürfe beobachtet, sondern diese nur geschlussfolgert zu haben. Mal meinte sie, die „Linken“, dann wieder die Neonazis seien an ihrer schwarzen Kleidung zu erkennen gewesen. Obgleich sie in einem anderen Waggon gesessen hat, will sie gesehen haben, wie von Seiten der „Linken“ die Notbremse gezogen worden sei. Angesichts der Vielzahl von Widersprüchen, die sowohl von der Verteidigung als auch den Nebenklägern festgestellt wurden, musste eine Anwältin die Zeugin daran erinnern, dass sie zur Wahrheit verpflichtet ist.

Zum Ende des Tages wurde der Zeuge Karl J. aus Gnoien gehört, der an dem Tage auf dem Weg zur NPD-Demo gewesen ist. Sein Bericht war bisher nirgends aufgetaucht – er hatte im Anschluss an die Ereignisse noch die Aussage verweigert. Nun war er, wie er wiedergab, von einer Person aus der NPD geladen worden. Er erzählte, in der Gruppe von Rechten gewesen zu sein, die sich im Waggon der alternativen Jugendlichen aufhielt und nach einem Streit mit einigen von ihnen das Abteil in Pölchow verlassen habe. Von diesen soll jemand verletzt und anderen die Kleidung beschädigt worden sein; genaue Angaben zu den vermeintlichen Betroffenen konnte er jedoch nicht machen, ihm selber sei nichts passiert. Eine Anzeige ist durch ihn nicht erfolgt.

Der Prozess wird am 29. Januar fortgesetzt.

Weitere Informationen zu den Ereignisse in Pölchow in einer Übersicht unter:

http://www.poelchow-prozess.info

Prozessgruppe Pölchow, 25. Januar 2010

Michael Grewe: Multifunktionär der norddeutschen Neonazi-Szene

admin am 25. Januar 2010 um 15:33

Hintergrundinformationen zum Angeklagten im Prozess um den Neonazi-Überfall in Pölchow auf eine Gruppe nicht-rechter Jugendlicher

Seit vielen Jahren ist der gebürtige Hamburger und gelernte Wagenmeister Michael Grewe (Jahrgang 1968) einer der führenden Aktivisten der Neonazi-Szene in Norddeutschland. Im Zuge der dilettantischen Ermittlungen im Fall Pölchow entpuppte er sich hingegen für die Rostocker Polizeidirektion als Unbekannter. So wandten sich die Ermittler – auf ihrer Suche nach einem „unbekannten Randalierer“ – im April 2008 mit einem Fahndungsfoto an die Bevölkerung und baten um Hinweise über den vermeintlich „aus dem Bundesgebiet zugereisten Veranstaltungsteilnehmer“ der NPD-Demonstration vom 30. Juni 2007 in Rostock. Bevor sich Michael Grewe diesem Aufmarsch gegen „linke Gewalttäter“ anschließen konnte, hetzte er laut Augenzeugen im Zug nach Rostock eine Horde prügelnder Neonazis auf alternative Jugendliche.

Devotionalienhändler und Waffennarr

Bereits in den 1980er Jahren ist Michael Grewe durch rechtsextreme Umtriebe in Erscheinung getreten. Er gehörte gemeinsam mit seinen Brüdern Sven und Hans Grewe zu den Kadern der Kameradschafts-Szene im niedersächsischen Lüneburg und zeichnete 1985 für das Neonazi-Fanzine „Kahlschlag“ verantwortlich. Während Sven Grewe als führender Kopf der „Hammerskins Nordmark“ von sich Reden machte, versorgten Hans und Michael Grewe unter dem Geschäftsmotto „von Skins für Skins“ rechte Anhänger jahrelang mit szenetypischer Kleidung und rechten Devotionalien. Ihr Hamburger Neonazi-Laden „Buy or Die“ galt in den 1990er Jahren als Anlaufstelle für Anhänger der rechten Szene in Norddeutschland und wurde unter anderem im Organ der NPD-Jugendorganisation „Einheit und Kampf“ beworben. Während dieser Zeit organisierten Hans und Michael Grewe auch größere Fußballturniere für die rechte Klientel. Kurze Zeit nachdem „Buy oder Die“ 1998 nach Lüneburg verlegt wurde, übernahm der Neonazi Christian Sternberg die Geschäftsleitung. Sternberg gehörte wie Grewe der Kameradschaft „Lüneburg/Uelzen – Trupp 16“ an, die hinsichtlich ihrer Namensgebung der Lüneburger SA-Einheit huldigte.

Michael Grewes Affinität zur Gewalt wurde spätestens offenkundig, nachdem das Landeskriminalamt Hamburg im August 1997 in seiner damaligen Wohnung in Hamburg-Lohbrügge eine Maschinenpistole, einen Karabiner sowie über 1.000 Schuss Munition sichergestellt hatte. Wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz wurde der Waffennarr zu einer auf drei Jahren Bewährung ausgesetzten Haftstrafe von 13 Monaten sowie zu einer Geldstrafe von 1.300 DM verurteilt.

Die NPD als politische Heimat

In den folgenden Jahren suchte Michael Grewe – der mindestens seit Mitte der 1990er Jahre eine „neue“ politische Heimat in der NPD gefunden hatte – sein Agitationsfeld vorwiegend in der mecklenburgischen Provinz und beteiligte sich an einem rechten Siedlungsprojekt im Raum Ludwigslust. Zusammen mit dem Hamburger Neonazi Thomas „Steiner“ Wulff, der Anhänger der rechten Szene 1996 dazu aufgerufen hatte, „sich in Regionen […] auf die eigene Kraft zu besinnen und Kaderkreise zu bilden“, ließ sich Grewe etwa vier Jahre später mit seiner Familie in einem Gutshaus im mecklenburgischen Teldau (OT Amholz) im Landkreis Ludwigslust nieder. Seither dient das Anwesen, das Anwohner auch als „Schloss“ bezeichnen, als Kulisse für eine Reihe szeneinterner Veranstaltungen wie etwa Osterfeuer, Sommer- und Wintersonnenwenden. Im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen ein Neonazi-Magazin wurde das Gut Amholz im Januar 2000 von Polizei und Staatsanwaltschaft durchsucht. Auf der Titelseite einer Ausgabe vom „Zentralorgan“ prangte unverhohlen: „Juden raus!“. Selbiges Magazin hatte den seinerzeit in Teldau ansässigen „Zentralversand“ beworben, der nach eigenen Angaben zum „zentralen Versand des Nationalen Widerstandes“ ausgebaut werden sollte, an diesem Ziel jedoch scheiterte. Die im Juni 1999 gegründete „FSN Medien Zentralversand GmbH“, in die Grewe verwickelt war, wurde nach vier Jahren von Amts wegen aus dem Handelsregister gelöscht.

Neben seinem anhaltenden parteipolitischen Engagement für die NPD, organisierte sich Michael Grewe auch in der mittlerweile verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ), die sich nach dem Vorbild der nationalsozialistischen „Hitler-Jugend“ den militärischen Drill und die Indoktrination von Kindern und Jugendlichen zur Aufgabe gemacht hatte. Die im Raum Ludwigslust wohnenden Familien um das Landtagsmitglied Stefan Köster, den Kreisvorsitzenden Andreas Theißen sowie die Landtagsmitarbeiter Torgai Kliengebiel und Michael Grewe gehörten laut Beobachtern zu den aktivsten der HDJ-Einheit „Mecklenburg und Pommern“. Unter zahlreichen weiteren NPD-Funktionären und militanten Neonazis wurde letzterer im Jahr 2007 auf einem HDJ-„Pfingstlager“ in Eschede gesichtet. Videoaufnahmen zeigen, wie der vierfache Familienvater in einem Hemd der Kameradschaft „Lüneburg/Uelzen – Trupp 16“ durch das Lager patrouilliert. Bereits in den Vorjahren fanden sich auf dem von Joachim Nahtz (NPD) zur Verfügung gestellten Gelände Neonazis zu völkischen Erntedankfesten und Sonnenwendfeiern ein. Wie „Recherche-Nord“ berichtet, sei Grewe dort ein gern gesehener Gast gewesen.

In der Gemeinde Teldau inszenieren sich die Bewohner der neonazistischen Wohngemeinschaft erfolgreich als Biedermänner: Während Thomas Wulff in der Vergangenheit damit prahlte in die Bevölkerung hineinzuwirken und sich im Elternrat der örtlichen Schule engagierte, konnte Michael Grewe bei den Kommunalwahlen 2004 mit 7,6 Prozent der Wählerstimmen (73 Stimmen) für die NPD in den Gemeinderat von Teldau einziehen. Ein Forscherteam der Universität Greifswald konnte bis 2006 keine kommunalpolitischen Aktivitäten seinerseits wahrnehmen und verlieh ihm das Prädikat „Totalausfall“. Derartigen politischen Ämtern augenscheinlich nicht gewachsen, vertrat Grewe die NPD gleichwohl zeitweilig auch im Kreistag von Ludwigslust und wurde von der Partei zur Landtagswahl 2006 als Direktkandidat für den Wahlkreis 9 (Schwerin II) nominiert.

Derzeit fungiert Michael Grewe als Mitarbeiter der NPD-Landtagsfraktion sowie als Beisitzer im NPD-Landesvorstand.

Diese parteipolitischen und parlamentarischen Gehversuche können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Grewe den „Kampf um die Straße“ auch weiterhin propagiert und auslebt. So ist er nicht nur regelmäßiger Teilnehmer, sondern tritt auch als Anmelder und Organisator von Aufmärschen der Neonazi-Szene auf. Nach eigenen Angaben ist er bereits seit Mitte der 1990er Jahre im „Ordnungsdienst der NPD“ tätig. Welche Rolle diesem so genannten Ordnungsdienst innerhalb der Partei beizumessen ist, mussten die Opfer der rechten Gewalt in Pölchow am eigenen Leib erfahren.

„Der hat schon damals so gegrinst“

Für diesen Gewaltexzess muss sich Michael Grewe nunmehr seit dem 20. Januar 2010 vor dem Rostocker Landgericht verantworten. Schwerer Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung lautet der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Mit Kommandos wie „Reißt ihnen die Piercings raus!“ oder „Ihr Schweine, jetzt seid ihr dran!“ soll er sich bei dem Angriff hervorgetan und seine Gesinnungsgenossen zur rechten Gewalt angeheizt haben. Grewe, so berichtete ein Zeuge am ersten Prozesstag, habe „eine Art Führungsposition eingenommen in dieser ganzen Szenerie“. Betroffene gaben an, selbst von Grewe geschlagen worden zu sein und beobachtet zu haben wie dieser einer weiteren Person mehrmals in das Gesicht geschlagen und an den Haaren gezogen hatte. Die drei Nebenkläger belasteten Grewe schwer und konnten den Angeklagten anhand seiner markanten Gesichtszüge zweifelsfrei identifizieren. „Der hat schon damals so gegrinst“, bemerkte einer der Betroffenen im Zeugenstand auf eine Nachfrage des Richters.

Michael Grewe wollte sich auf die Vorwürfe nicht einlassen und ließ durch seinen Rechtsanwalt Michael Andrejewski (NPD-Landtagsmitglied) lediglich eine Erklärung verlesen, die haarsträubende Schutzbehauptungen enthält. So seien die mitreisenden Neonazis – aus dem überschaubaren NPD-Landesverband und der Kameradschaftsszene – ihm weitgehend unbekannt gewesen und zufällig zeitgleich in Güstrow zusammengekommen. Von den alternativen Festivalbesuchern, die sich spontan auf den Weg nach Rostock gemacht hatten, zeichnete Grewe ein dämonisches Bild von schwarz vermummten, Parolen grölenden, gewaltbereiten und mit „Backsteinen“ bewaffneten „Linksextremen“. Gegen eine vermeintliche „Übermacht von 70 Gegnern“ und sich gegen linke Angriffe zur Wehr setzend, sei Grewe mit anderen Rechten in das Zugabteil eingedrungen, um vermutlich eingeschlossene Kameraden aus den Klauen der „linksextremen Szene“ zu befreien. Seine Gewalttaten versuchte er so zur „Nothilfe“ umzudeuten.

Dennoch verließ Grewe flugs den Tatort. Angestiftet zur Flucht vor der Polizei wurde Michael Grewe offenbar durch Udo Pastörs (Fraktionsvorsitzender der NPD-Landtagsfraktion), wie aus der Erklärung weiter hervorgeht. Dieser habe ihn beauftragt zu Fuß ein am Bahnhof im über zwei Stunden entfernten Schwaan abgeparkten VW-Bus aufzusuchen, um später in Pölchow wartende Neonazis zur Demonstration nach Rostock zu geleiten. Unterbrochen wurde sein spontaner Geländemarsch durch die eintreffende Polizei, die zunächst Grewes Personalien aufnahm. Dass die zuständige Polizeidienststelle später die Ermittlungen auf die Opfer des Angriffs lenkte und gegen Angreifer wie Michael Grewe lange untätig blieb, wurde mit dem Fandungsaufruf der Polizei noch überboten. Zu Recht handelte sich die Polizei damit Spott und Hohn von Beobachtern der rechten Szene ein, war Michael Grewe ihnen doch aufgrund seiner rechten Aktivitäten bereits seit Jahrzehnten ein Begriff.

Prozessgruppe: Neonazi verhöhnt Opfer mit Schutzbehauptung

admin am 21. Januar 2010 um 00:43

Verhandlung um Neonazi-Überfall in Pölchow hat heute vor dem Landgericht Rostock begonnen

Pressemitteilung der Prozessgruppe Pölchow vom 20. Januar 2010.

Nach dem ersten Verhandlungstag um den Überfall von Neonazis auf eine Gruppe nicht-rechter Jugendlicher in Pölchow bezeichnet die Prozessgruppe Pölchow die Einlassungen des Hauptangeklagten Michael Grewe als Schutzbehauptungen. Die Zeugenaussagen von Betroffenen der Gewalt haben dagegen einmal mehr die Brutalität des rechten Angriffs deutlich gemacht.

Aus einer Gruppe von mehr als 100 Neonazis waren im Juni 2007 etwa 60 nicht-rechte Jugendliche auf dem Weg zum Protest gegen eine NPD-Demonstration in Pölchow bei Rostock angegriffen und mißhandelt worden. Drei der Beteiligten sind nun wegen schweren Landfriedensbruch und Körperverletzung vor dem Landgericht Rostock angeklagt, unter ihnen der Mitarbeiter der NPD-Landtagsfraktion Michael Grewe. Andere NPD-Landtagsabgeordnete waren damals Zuschauer der Gewalt und griffen nicht ein.

„Mit aberwitzigen Behauptungen versucht der Angeklagte Michael Grewe, seine Rolle bei dem Angriff zu einer Art ‚Nothilfe‘ umzudeuten“, kommentiert Franziska Holtz, Pressesprecherin der Prozessgruppe Pölchow. „In seiner Einlassung macht er die Opfer zu den eigentlichen Tätern. Seine anschließende Flucht vom Tatort wird zu einem kurzen Fußmarsch ins zehn Kilometer entfernte Schwaan umgeredet.“

Unter den Anwälten der Angeklagten wird Grewe vom NPD-Landtagsabgeordneten Michael Andrejewksi vertreten. Die Verteidiger scheinen die Strategie der NPD fortsetzen zu wollen, mit der die Parteifunktionäre bereits direkt im Anschluss an den Angriff diesen als Reaktion auf vermeintliche linke Gewalt darzustellen versuchten. Nicht ohne Erfolg: Lange Zeit ermittelten Polizei und Staatsanwaltschaft gegen die Opfer des Überfalls, bis die Untersuchungen aufgrund fehlenden Tatverdachts eingestellt wurden.

Die Angeklagten verweigerten im heutigen Prozess die Aussage, Grewe ließ über seinen Anwalt eine Einlassung verlesen. Im Folgenden kamen drei der Betroffenen zu Wort, die ihre Erinnerungen an den Angriff schilderten. Frühzeitig drohende Nazis, das Eindringen der Rechten in das Abteil der nicht-rechten Jugendlichen, zerberstende Scheiben, Schläge und Tritte bestimmten ihre Berichte vom Geschehen. Den Angeklagten Michael Grewe belasteten sie schwer.

„Der Prozess hätte schon viel früher beginnen können, wenn die Ermittlungsbehörden nicht den Geschichten der NPD von einer Notwehrreaktion aufgesessen wären“, kritisiert Florian Schmied, Pressesprecher der Prozessgruppe Pölchow den Beginn der Verhandlungen zweieinhalb Jahre nach der Tat. „Doch die falsche Richtung der Untersuchungen hat dazu geführt, dass ein Großteil der Angreifer nie ermittelt worden ist.“

Ein ausführlicher Prozessbericht ist auf der Website der Prozessgruppe Pölchow einsehbar.

Gewaltexzess als “Nothilfe”

admin am 21. Januar 2010 um 00:40

Bericht vom ersten Prozesstag am 20. Januar 2010 in den Verhandlungen um den Neonazi-Überfall in Pölchow 2007

Vor dem Landgericht Rostock hat heute der Prozess wegen des Neonazi-Überfalls in Pölchow im Juni 2007 begonnen. Eine Gruppe von etwa 60 nicht-rechten Jugendlichen, die an Protesten gegen eine NPD-Demonstration in Rostock teilnehmen wollten, war am Bahnsteig des Ortes aus einer Gruppe von mehr als 100 Neonazis überfallen worden. Brutal traten und schlugen sie mit Fäusten, Flaschen und Zaunlatten auf ihre Opfer ein, zerrten sie an ihren Haaren aus dem Zug und warfen sie eine Böschung hinunter.

Aus der Gruppe der Angreifer sind nunmehr drei Rechte angeklagt: Dennis F. (Jahrgang 1984), Stefan V. (Jahrgang 1985) und Michael Grewe (Jahrgang 1968). Alle drei sind als Neonazis bekannt und schon seit Jahren oder, wie im Fall des Mitarbeiters der NPD-Landtagsfraktion Grewe, seit Jahrzehnten in der Szene aktiv. Ihnen wird schwerer Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen: Mit Kommandos sollen sie die anderen Angreifer angestachelt, auch selber auf ihre Opfer eingeprügelt und daraufhin den Rückzug organisiert haben.

Drei der Betroffenen treten zugleich als Nebenkläger im Prozess auf, für den vorerst fünf Verhandlungstage eingeplant sind. Als Anwälte der Angeklagten treten für Grewe Michael Andrejewski, NPD-Landtagsabgeordneter, für F. Sven Rathjens aus Rostock und für V. ein Anwalt aus Wismar auf.

Zum Beginn der Verhandlungen äußerten sich die Angeklagten nicht zu den Vorwürfen. Grewe ließ allerdings über seinen Anwalt Andrejewski eine Einlassung verlesen, die am gleichen Tag noch auf der Internetseite der NPD Mecklenburg-Vorpommern veröffentlicht wurde und in der er seine Version der Geschehnisse schildert: So will er fast niemanden aus der Reisegruppe der Rechten – aus dem überschaubaren NPD-Landesverband und der Kameradschaftsszene – gekannt haben. Diese seien gänzlich unkoordiniert aus allen Teilen des Bundeslandes angereist, um dann gemeinsam und zeitgleich nach Rostock zu fahren. Beobachtet hätte er jedoch, wie die Reisegruppe der nicht-rechten Jugendlichen vermummt, Parolen rufend und einen schweren Rucksack tragend in Schwaan eingestiegen seien. Der Rucksack, so implizierte Grewe, sei voller mitgebrachter Backsteine gewesen, mit denen sie später im Zug um sich geworfen hätten. Nach angeblichen Belästigungen von Neonazis durch Linke sei Grewe mit anderen Rechten in deren Abteil eingedrungen und hätte eingeschlossene Kameraden befreien wollen. Sich gegen linke Angriffe zur Wehr setzend, sei er von nachdrängenden Rechten immer weiter in die Gruppe der nicht-rechten Jugendlichen hineingeschoben worden. Sein Handeln bezeichnete er als „Nothilfe“.

Nach der Flucht der vermeintlichen Angreifer, vor dem Eintreffen der Polizei, hätte Grewe selber aufbrechen müssen: Der NPD-Fraktionsvorsitzende Udo Pastörs habe ihm den Auftrag erteilt, von Pölchow zu Fuß nach Schwaan aufzubrechen und von dort aus abgestellte Fahrzeuge in Güstrow zu holen, um eilig mit der rechten Reisegruppe weiter nach Rostock fahren zu können. Bevor er jedoch die mehr als 10 Kilometer nach Schwaan flugs zurücklegen konnte, wurde er von der Polizei aufgehalten. Des Weiteren ließ sich Grewe in der Einlassung längere Zeit über seine Gelfrisur und seine „friedensstiftende Rolle“ im NPD-Ordnungsdienst aus.

„Reißt ihnen die Piercings raus!“

Nach einer längeren Pause wurden die drei Nebenkläger als betroffene Zeugen angehört. Sie schilderten, wie sie vom „Fusion-Festival“ zum Protest gegen die geplante NPD-Demonstration Richtung Rostock aufgebrochen waren. Nach dem Einstieg in die Regionalbahn in Schwaan machte sich angesichts der in dem Nachbarwaggon mitfahrenden Neonazis Panik breit. Bedrohlich und gewaltbereit versuchten diese, zu ihnen vorzudringen, woran sie zunächst durch eine verschlossene Zwischentür gehindert werden konnten.

Beim Halt in Pölchow konnten die Rechten durch die Seitentüren in den Waggon gelangen. Sie zerrten die ersten Personen vom Gang nach draußen und prügelten in den Wagen hinein, andere zerstörten die Scheiben von Tür und Fenster oder filmten das Geschehen. Die Nazis sind reingestürmt, schilderte ein Zeuge, es war „überfallartig“. Gezielt suchten sie sich ihre Opfer unter den alternativen Jugendlichen: „Es wurde gewissermaßen selektiert“, beschrieb ein Zeuge die Situation. „Ihr Schweine, jetzt seid ihr dran!“, war zu hören, oder auch: „Reißt ihnen die Piercings raus!“. Grewe, so ein weiterer Zeuge, hat „eine Art Führungsposition eingenommen in dieser ganzen Szenerie“. Zwei der Betroffenen gaben an, von Grewe geschlagen worden zu sein, der dritte Nebenkläger hatte beobachtet, wie er ein anderes Opfer mehrmals in das Gesicht geschlagen und an den Haaren gezogen hatte. Alle Zeugen belasteten Grewe schwer.

Übereinstimmend berichteten die Betroffenen, dass die Neonazis sie aus dem Zug geprügelt hatten. „Man war ausgeliefert“, erzählte einer, es war ein „traumatisches Erlebnis“. Auf dem Bahnsteig wurde weiter auf sie eingeschlagen, bevor sie über oder auch auf einen Zaun und eine Böschung hinunter geworfen wurden. Die Zeugen konnten daraufhin in eine Kleingartenanlage fliehen, wo Anwohner erste Hilfe leisteten.

Das Verhalten der eintreffenden Polizei beschrieben sie als problematisch. Beamte haben sich nicht um sie gekümmert, sie jedoch erkennungsdienstlich behandelt. Als einer der Betroffenen eine Anzeige stellen und das Geschehen schildern wollte, wurde er abgewiesen: Man hätte, so der Polizist, die notwendigen Formulare nicht vor Ort. Auch im Nachhinein haben sich die Ermittlungsbemühungen der Polizei zweifelhaft dargestellt. Lichtbildvorlagen von Tatverdächtigen etwa, berichtete ein Zeuge, waren von schlechter Qualität. Ebenfalls wurde die viele Zeit angesprochen, die seit dem Angriff im Juni 2007 vergangen ist – nach zweieinhalb Jahren könne man sich an gewisse Dinge nur noch schwer erinnern.

Aggressive Anwälte, höhnende Neonazis

Die Verteidiger der angeklagten Rechten versuchten auf dieser Basis durch detailliierte Fragen die Zeugen in Widersprüche zu verwickeln. Zugleich wollten sie mit augenscheinlichen Unterstellungen eine Nähe der Betroffenen zum Linksextremismus und zur Gewaltbereitschaft herbeireden. So versuchten sie zivilgesellschaftliches Engagement gegen Neonazismus mit Straftaten in Verbindung zu bringen. Alle Betroffenen wurden von den Verteidigern nach Rucksäcken voller Steine ausgefragt. Im Aufgreifen dieser Behauptung zeigt sich das Bemühen der Anwälte der Rechten, die Medienstrategie der NPD aufrecht zu erhalten, die schon im direkten Anschluss an den Überfall von einem linken Angriff auf eine friedliche rechte Reisegruppe fabulierte.

Der Anwalt Sven Rathjens und sein Kollege und NPD-Kader Michael Andrejewski führten die Befragung der von der Gewalttat betroffenen Zeugen sehr aggressiv. Unterstützung erhielten sie dabei von den knapp zehn Neonazis im Publikum, welche die Opfer und ihre Schilderungen mit abfälligen Bemerkungen und Gelächter verhöhnten. Unter ihnen befanden sich einschlägig bekannte Rechte aus Rostock sowie aus dem Umfeld der NPD-Landtagsfraktion. Zwei von ihnen, die NPD-Kreistagsabgeordneten Torgai Klingebiel und David Böttcher, mussten die Verhandlung bereits nach kurzer Zeit wieder verlassen: Da sie sich auch in der rechten Gruppe in Pölchow befunden hatten, könnte ihnen im Prozess noch eine Rolle zukommen.

Der Prozess wird am 25. Januar um 9.30 Uhr mit weiteren Zeugenbefragungen fortgeführt.

Weitere Informationen zu den Ereignisse in Pölchow in einer Übersicht unter:
http://www.poelchow-prozess.info

Prozessgruppe Pölchow, 20. Januar 2010