Anklage auf versuchten Mord?

Bericht vom sechsten Prozesstag am 22. Februar 2010 in der Verhandlung um den Neonazi-Überfall in Pölchow 2007

Mit dem Abschluss der Beweisaufnahme wurde heute der Prozess um den Überfall von Neonazis auf eine Gruppe alternativer Jugendlicher im Sommer 2007 in Pölchow fortgesetzt. Der Angeklagte Dennis F. ließ eine Einlassung verlesen, Videoaufnahmen der Polizei wurden gezeigt und das Vorstrafenregister der Angeklagten vorgetragen.

In seiner abenteuerlichen Einlassung zum Ende des Prozesses, zu dem keine Beweisanträge mehr zu erwarten waren und nachdem er bereits alle Vorwürfe gegen sich gehört hat, stellte der Angeklagte Dennis F. aus Göttingen seine Version der Ereignisse vor. Am 30. Juni sei er mit einem Freund auf dem Weg zur NPD-Demo in Rostock gewesen und in Güstrow mit der Gruppe der mehr als 100 Rechten in den Zug gestiegen. Bereits dort will F. Linke erkannt haben, die ihn und seine Kameraden ausspioniert und dabei telefoniert hätten. In Schwaan seien dann „Linksextremisten“ zum Zug und in den Waggon geeilt, in dem sich eine einzelne kleine Gruppe von Rechten befunden habe. Um diese zu schützen, wollte F. zu diesen laufen, doch die Tür zwischen den Abteilen war versperrt. Deshalb sei er beim Halt in Pölchow aus dem Zug gesprungen, habe einen der Rechten aus dem benachbarten Waggon herausstürzen sehen und sei über den Bahnsteig zum benachbarten Waggon gehastet. Auf der Suche nach einer offenen Tür habe er Steinen ausweichen müssen, die aus dem Inneren des Waggons durch die Scheiben geflogen sein sollen.

Angeklagter inszeniert sich als Retter

Als einer der ersten sei F. mit „lauten Gebärden“ in den Zug gestürmt. Im Inneren hätten ihm „kampfbereite Linke“ den Weg versperrt, die – wie eine Wand und in Reihen gestaffelt– zum Schutz Frauen nach vorne gestellt hätten. Aus der zweiten Reihe sei ihm Pfefferspray in die Augen gesprüht worden. Trotzdem habe er bei seinem Vorstoß in den Waggon nicht nur genau Rucksäcke voller Steine erkennen können. Auch an einen der Nebenkläger, der ihn zudem geschlagen hätte, könne er sich erinnern. Nichtsdestotrotz habe er diesen überwältigen können und, als die Gefahr gebannt gewesen sei, den Waggon verlassen. Draußen habe ihm Michael Grewe für seinen Einsatz gedankt und Udo Pastörs sei sichtlich erleichtert gewesen, dass „Schlimmeres“ verhindert werden konnte. Der Vorsitzende der NPD-Landtagsfraktion habe dann auch vorgeschlagen, dass F. sich mit anderen Rechten nach Schwaan begebe, um dort Autos zu holen und mit diesen nach Rostock zu fahren. Bereits Michael Grewe hatte in seiner Einlassung am ersten Prozesstag behauptet, dass Pastörs sie aufgefordert hatte, zu Fuß ins fast 13 Kilometer und damit mehr als zwei Stunden entfernte Schwaan zu gehen. Von dort aus sollten sie dann weitere 20 Kilometer nach Güstrow fahren, um abgestellte Autos zu holen und mit diesen wiederrum die Rechten aus Pölchow schnellstmöglich zur Demonstration nach Rostock bringen. Auf diesem Weg, so auch F., seien sie dann von der Polizei aufgegriffen worden. Abschließend betonte F., dass ihm die Ermittlungen gegen ihn ein Rätsel seien. Aufgrund angeblicher Widersprüche in den Aussagen der Betroffenen forderte er für sich einen Freispruch ein. Fragen zu seiner Einlassung ließ er nicht zu.

Einer der Nebenklageanwälte stellte den Antrag, die Anklage gegen Michael Grewe, Dennis F. und vermutlich auch Stefan V. auf den Vorwurf des versuchten Mords auszudehnen. Nach Zeugenaussagen wurde sein Mandant verprügelt und mit Tritten misshandelt, als er schon bewusstlos am Boden lag. Wären die Angreifer nicht abgelenkt worden, so ein Betroffener, hätten sie ihn totgeschlagen. Die Rechten hatten geplant, gemeinschaftlich und aus niederen Beweggründen gehandelt, da sie ihre Opfer nur aufgrund von deren politischer Einstellung angegriffen hätten.

Polizeiaufnahmen dokumentieren Spuren der Gewalt

Im weiteren Prozessverlauf wurden Aufnahmen abgespielt, die den Einsatz der Polizei in Pölchow dokumentierten. Sie zeigten, wie die Beamten eine der Gruppen von Neonazis abseits des Tatorts stellten und sie kurz ihre Namen nennen ließen. Zugleich wurden der Zustand im Zug, eingeworfene Fensterscheiben, eine zerborstene Tür, Haarbüschel und Blutspuren, festgestellt. Im Gegensatz zu den Neonazis wurden die Opfer des Angriffs sehr intensiv von der Polizei untersucht, ihre Personalausweise und auch sie selbst wurden einzeln und detailliert gefilmt. Dabei wurde nicht nur deutlich, dass sie nicht einheitlich in schwarz gekleidet waren und auch keine Rucksäcke voller Waffen und Steine bei sich trugen. Zugleich waren ihre zahlreichen Verletzungen – unter anderem Prellungen, Schürfwunden, aufgeplatzte Lippen, verbundene Wunden – zu erkennen.

In der folgenden Aussprache betonte die Staatsanwältin, dass nun deutlich sei, dass die Fenster des Waggons von außen eingeworfen wurden, und sich eine weitere Auseinandersetzung darüber erübrigt. Einer der Nebenklageanwälte wies auf die Heterogenität der Betroffenen und ihre vielfarbige Kleidung hin. Thomas Penneke, Verteidiger von Michael Grewe, glaubte dagegen, eines der Opfer in „Kampfuniform“ ausmachen zu können. Über die Anfrage des Verteidigers von Dennis F., Sven Rathjens, eine Kopie des Films zu bekommen, traf das Gericht noch keine Entscheidung.

Angeklagte bei Polizei und Justiz einschlägig bekannt

Die Verlesung des Vorstrafenregisters offenbarte, dass die drei Angeklagten nicht wenige Erfahrungen mit Polizei und Justiz gemacht haben. So trug Michael Grewe etwa Tätowierungen mit verbotener Nazi-Symbolik auf einer Demonstration zur Schau und wurde wegen des Schmuggels einer Maschinenpistole, eines Revolvers und Munition und damit des Verstoßes unter anderem gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Stefan V. ist etwa mit fahrlässiger Körperverletzung, Sachbeschädigungen und Diebstählen aufgefallen, Dennis F. mit Körperverletzungen, Waffenbesitz, Sachbeschädigung, Beleidigung und der Verwendung von Nazi-Kennzeichen. Die Bewährungshelferin von Dennis F. ließ die zweifelhafte Einschätzung mitteilen, dass der Angeklagte – der beständig freundlich die Neonazis im Publikum grüßt, in den Verhandlungspausen engen Kontakt zu ihnen hält und dem Prozess mit einem steten breiten Grinsen und seiner hanebüchenen Einlassung begegnet – sich von der rechten Szene zu distanzieren scheine.

Auch heute fielen die anwesenden Neonazis im Saal wieder durch Pöbeleien und höhnische Bemerkungen gegen die Betroffenen des Angriffs auf und machten sich über deren Verletzungen lustig. Unter ihnen waren etwa Lutz Giesen oder David Petereit, der bereits eine fragwürdige Rolle im Prozess gespielt hatte.

Die abschließenden Plädoyers wurden heute nicht mehr gehalten, sondern werden in den nächsten drei Verhandlungstagen erwartet, abschließend wird das Urteil gesprochen. Diese sind für den 1. März ab 13 Uhr, den 5. und den 16. März geplant.

Weitere Informationen zu den Ereignisse in Pölchow ausführlich unter:

http://www.poelchow-prozess.info

Prozessgruppe Pölchow, 22. Februar 2010

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