Nebenklageanwalt: Staatsanwaltschaft „auf dem rechten Auge blind“

Bericht vom fünften Prozesstag am 16. Februar 2010 in der Verhandlung um den Neonazi-Überfall in Pölchow 2007

Einen Antrag auf Auswechslung der Staatsanwältin Tanja Bierfreund stellte am heutigen fünften Verhandlungstag einer der Nebenklageanwalte, der einen der Betroffenen des Neonazi-Überfalls auf eine Gruppe nicht-rechter Jugendlicher im Sommer 2007 in Pölchow vertritt. Weiterhin wurden Anträge der Nebenklage aus der letzten Verhandlung behandelt, eine geplante Einlassung des Angeklagten Dennis F. konnte nicht verlesen und ein Video von der Situation nach dem Überfall nicht gezeigt werden.

In seiner Kritik an der Staatsanwältin formulierte einer der Anwälte der Nebenklage, dass sie als Vertreterin der Anklage gegen die drei Tatverdächtigen – den NPD-Mitarbeiter Michael Grewe und die Rechten Dennis F. und Stefan V. – bisher kein Interesse an der Wahrheitsfindung gezeigt habe. Im Prozess habe sie bisher nur zweimal das Wort ergriffen und sich dabei auf Gesichtspunkte bezogen, die die Angeklagten entlasten würden. Damit setze sich die Schlamperei von Polizei und Staatsanwaltschaft, von der die Ermittlungen nach dem rechten Überfall bisher gekennzeichnet gewesen seien, nun auch im Gerichtssaal fort. Es scheine, so hieß es weiter, als sei die Staatsanwaltschaft “auf dem rechten Auge blind”. Die “Befangenheit” zeige sich außerdem darin, dass Staatsanwältin und Verteidiger dabei gesehen worden seien, wie sie gemeinsam Räume betreten haben, die nur für Mitarbeiter zugänglich seien. Über den Antrag wurde bisher noch keine Entscheidung getroffen.

Die angekündigte Einlassung des Angeklagten Dennis F., der sich bisher nicht zu den Vorwürfen geäußert hatte und von mehreren Betroffenen belastet worden ist, konnte heute nicht verlesen werden. Sein Anwalt hatte aus persönlichen Gründen wenig Zeit.

Neben der Verlesung einer Reihe von ärztlichen Attesten, die einmal mehr die Verletzungen einiger Betroffener wiedergaben, wurden heute mehrere Anträge der Nebenklage abgelehnt. Eine Reihe weiterer Zeugen sollte vorgeladen werden, um die Glaubwürdigkeit des Lokführers festzustellen, der im Prozess – im Unterschied zu vorhergegangenen Aussagen – die Gruppe der Angegriffenen als vermummt beschrieben hatte und dessen Interaktion mit der NPD fragwürdig scheint. Dies sah der Richter als unnötig an, da er den Lokführer für glaubwürdig erachtet. Die Vorladung von Sachverständigen, die feststellen sollten, dass die Scheiben des Zuges nicht von innen und damit von den Betroffenen zerstört worden sind, lehnte er ab, da dies irrelevant für die Vorwürfe gegenüber den drei Angeklagten sei.

Zudem wurde ein Antrag über Filmmaterial abgelehnt, das von einem der Neonazis beschlagnahmt worden war. Mehrere Zeugen hatten berichtet, dass die Rechten ihre Gewalt gefilmt hatten. Die sichergestellten Digitalaufnahmen jedoch zeigten nur private Bilder oder waren leer. Das Vorhaben, die leeren und möglicherweise unmittelbar nach der Tat gelöschten Bänder wiederherzustellen, lehnte der Richter als spekulativ ab. Andere für heute eingeplante Filmaufnahmen, die die Situation kurz nach dem Angriff zeigten, konnten trotz der langen Vorbereitungszeit nicht rechtzeitig von der Polizei herangeschafft werden.

Nach der Ankündigung der Anwälte der Angeklagten, keine Beweisanträge zu stellen, forderte der Richter zum nächsten Prozesstag am 22. Februar zur Vorbereitung der Abschlussplädoyers auf. Daraufhin machte sich Irritation breit, da vorher zumindest noch die Einlassung des Angeklagten Dennis F. gehört werden sollte.

Der Prozess wird am 22. Februar um 9.30 Uhr fortgesetzt.

Weitere Informationen zu den Ereignisse in Pölchow ausführlich unter:

http://www.poelchow-prozess.info

Prozessgruppe Pölchow, 16. Februar 2010

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