Michael Grewe: Multifunktionär der norddeutschen Neonazi-Szene

Hintergrundinformationen zum Angeklagten im Prozess um den Neonazi-Überfall in Pölchow auf eine Gruppe nicht-rechter Jugendlicher

Seit vielen Jahren ist der gebürtige Hamburger und gelernte Wagenmeister Michael Grewe (Jahrgang 1968) einer der führenden Aktivisten der Neonazi-Szene in Norddeutschland. Im Zuge der dilettantischen Ermittlungen im Fall Pölchow entpuppte er sich hingegen für die Rostocker Polizeidirektion als Unbekannter. So wandten sich die Ermittler – auf ihrer Suche nach einem „unbekannten Randalierer“ – im April 2008 mit einem Fahndungsfoto an die Bevölkerung und baten um Hinweise über den vermeintlich „aus dem Bundesgebiet zugereisten Veranstaltungsteilnehmer“ der NPD-Demonstration vom 30. Juni 2007 in Rostock. Bevor sich Michael Grewe diesem Aufmarsch gegen „linke Gewalttäter“ anschließen konnte, hetzte er laut Augenzeugen im Zug nach Rostock eine Horde prügelnder Neonazis auf alternative Jugendliche.

Devotionalienhändler und Waffennarr

Bereits in den 1980er Jahren ist Michael Grewe durch rechtsextreme Umtriebe in Erscheinung getreten. Er gehörte gemeinsam mit seinen Brüdern Sven und Hans Grewe zu den Kadern der Kameradschafts-Szene im niedersächsischen Lüneburg und zeichnete 1985 für das Neonazi-Fanzine „Kahlschlag“ verantwortlich. Während Sven Grewe als führender Kopf der „Hammerskins Nordmark“ von sich Reden machte, versorgten Hans und Michael Grewe unter dem Geschäftsmotto „von Skins für Skins“ rechte Anhänger jahrelang mit szenetypischer Kleidung und rechten Devotionalien. Ihr Hamburger Neonazi-Laden „Buy or Die“ galt in den 1990er Jahren als Anlaufstelle für Anhänger der rechten Szene in Norddeutschland und wurde unter anderem im Organ der NPD-Jugendorganisation „Einheit und Kampf“ beworben. Während dieser Zeit organisierten Hans und Michael Grewe auch größere Fußballturniere für die rechte Klientel. Kurze Zeit nachdem „Buy oder Die“ 1998 nach Lüneburg verlegt wurde, übernahm der Neonazi Christian Sternberg die Geschäftsleitung. Sternberg gehörte wie Grewe der Kameradschaft „Lüneburg/Uelzen – Trupp 16“ an, die hinsichtlich ihrer Namensgebung der Lüneburger SA-Einheit huldigte.

Michael Grewes Affinität zur Gewalt wurde spätestens offenkundig, nachdem das Landeskriminalamt Hamburg im August 1997 in seiner damaligen Wohnung in Hamburg-Lohbrügge eine Maschinenpistole, einen Karabiner sowie über 1.000 Schuss Munition sichergestellt hatte. Wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz wurde der Waffennarr zu einer auf drei Jahren Bewährung ausgesetzten Haftstrafe von 13 Monaten sowie zu einer Geldstrafe von 1.300 DM verurteilt.

Die NPD als politische Heimat

In den folgenden Jahren suchte Michael Grewe – der mindestens seit Mitte der 1990er Jahre eine „neue“ politische Heimat in der NPD gefunden hatte – sein Agitationsfeld vorwiegend in der mecklenburgischen Provinz und beteiligte sich an einem rechten Siedlungsprojekt im Raum Ludwigslust. Zusammen mit dem Hamburger Neonazi Thomas „Steiner“ Wulff, der Anhänger der rechten Szene 1996 dazu aufgerufen hatte, „sich in Regionen […] auf die eigene Kraft zu besinnen und Kaderkreise zu bilden“, ließ sich Grewe etwa vier Jahre später mit seiner Familie in einem Gutshaus im mecklenburgischen Teldau (OT Amholz) im Landkreis Ludwigslust nieder. Seither dient das Anwesen, das Anwohner auch als „Schloss“ bezeichnen, als Kulisse für eine Reihe szeneinterner Veranstaltungen wie etwa Osterfeuer, Sommer- und Wintersonnenwenden. Im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen ein Neonazi-Magazin wurde das Gut Amholz im Januar 2000 von Polizei und Staatsanwaltschaft durchsucht. Auf der Titelseite einer Ausgabe vom „Zentralorgan“ prangte unverhohlen: „Juden raus!“. Selbiges Magazin hatte den seinerzeit in Teldau ansässigen „Zentralversand“ beworben, der nach eigenen Angaben zum „zentralen Versand des Nationalen Widerstandes“ ausgebaut werden sollte, an diesem Ziel jedoch scheiterte. Die im Juni 1999 gegründete „FSN Medien Zentralversand GmbH“, in die Grewe verwickelt war, wurde nach vier Jahren von Amts wegen aus dem Handelsregister gelöscht.

Neben seinem anhaltenden parteipolitischen Engagement für die NPD, organisierte sich Michael Grewe auch in der mittlerweile verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ), die sich nach dem Vorbild der nationalsozialistischen „Hitler-Jugend“ den militärischen Drill und die Indoktrination von Kindern und Jugendlichen zur Aufgabe gemacht hatte. Die im Raum Ludwigslust wohnenden Familien um das Landtagsmitglied Stefan Köster, den Kreisvorsitzenden Andreas Theißen sowie die Landtagsmitarbeiter Torgai Kliengebiel und Michael Grewe gehörten laut Beobachtern zu den aktivsten der HDJ-Einheit „Mecklenburg und Pommern“. Unter zahlreichen weiteren NPD-Funktionären und militanten Neonazis wurde letzterer im Jahr 2007 auf einem HDJ-„Pfingstlager“ in Eschede gesichtet. Videoaufnahmen zeigen, wie der vierfache Familienvater in einem Hemd der Kameradschaft „Lüneburg/Uelzen – Trupp 16“ durch das Lager patrouilliert. Bereits in den Vorjahren fanden sich auf dem von Joachim Nahtz (NPD) zur Verfügung gestellten Gelände Neonazis zu völkischen Erntedankfesten und Sonnenwendfeiern ein. Wie „Recherche-Nord“ berichtet, sei Grewe dort ein gern gesehener Gast gewesen.

In der Gemeinde Teldau inszenieren sich die Bewohner der neonazistischen Wohngemeinschaft erfolgreich als Biedermänner: Während Thomas Wulff in der Vergangenheit damit prahlte in die Bevölkerung hineinzuwirken und sich im Elternrat der örtlichen Schule engagierte, konnte Michael Grewe bei den Kommunalwahlen 2004 mit 7,6 Prozent der Wählerstimmen (73 Stimmen) für die NPD in den Gemeinderat von Teldau einziehen. Ein Forscherteam der Universität Greifswald konnte bis 2006 keine kommunalpolitischen Aktivitäten seinerseits wahrnehmen und verlieh ihm das Prädikat „Totalausfall“. Derartigen politischen Ämtern augenscheinlich nicht gewachsen, vertrat Grewe die NPD gleichwohl zeitweilig auch im Kreistag von Ludwigslust und wurde von der Partei zur Landtagswahl 2006 als Direktkandidat für den Wahlkreis 9 (Schwerin II) nominiert.

Derzeit fungiert Michael Grewe als Mitarbeiter der NPD-Landtagsfraktion sowie als Beisitzer im NPD-Landesvorstand.

Diese parteipolitischen und parlamentarischen Gehversuche können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Grewe den „Kampf um die Straße“ auch weiterhin propagiert und auslebt. So ist er nicht nur regelmäßiger Teilnehmer, sondern tritt auch als Anmelder und Organisator von Aufmärschen der Neonazi-Szene auf. Nach eigenen Angaben ist er bereits seit Mitte der 1990er Jahre im „Ordnungsdienst der NPD“ tätig. Welche Rolle diesem so genannten Ordnungsdienst innerhalb der Partei beizumessen ist, mussten die Opfer der rechten Gewalt in Pölchow am eigenen Leib erfahren.

„Der hat schon damals so gegrinst“

Für diesen Gewaltexzess muss sich Michael Grewe nunmehr seit dem 20. Januar 2010 vor dem Rostocker Landgericht verantworten. Schwerer Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung lautet der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Mit Kommandos wie „Reißt ihnen die Piercings raus!“ oder „Ihr Schweine, jetzt seid ihr dran!“ soll er sich bei dem Angriff hervorgetan und seine Gesinnungsgenossen zur rechten Gewalt angeheizt haben. Grewe, so berichtete ein Zeuge am ersten Prozesstag, habe „eine Art Führungsposition eingenommen in dieser ganzen Szenerie“. Betroffene gaben an, selbst von Grewe geschlagen worden zu sein und beobachtet zu haben wie dieser einer weiteren Person mehrmals in das Gesicht geschlagen und an den Haaren gezogen hatte. Die drei Nebenkläger belasteten Grewe schwer und konnten den Angeklagten anhand seiner markanten Gesichtszüge zweifelsfrei identifizieren. „Der hat schon damals so gegrinst“, bemerkte einer der Betroffenen im Zeugenstand auf eine Nachfrage des Richters.

Michael Grewe wollte sich auf die Vorwürfe nicht einlassen und ließ durch seinen Rechtsanwalt Michael Andrejewski (NPD-Landtagsmitglied) lediglich eine Erklärung verlesen, die haarsträubende Schutzbehauptungen enthält. So seien die mitreisenden Neonazis – aus dem überschaubaren NPD-Landesverband und der Kameradschaftsszene – ihm weitgehend unbekannt gewesen und zufällig zeitgleich in Güstrow zusammengekommen. Von den alternativen Festivalbesuchern, die sich spontan auf den Weg nach Rostock gemacht hatten, zeichnete Grewe ein dämonisches Bild von schwarz vermummten, Parolen grölenden, gewaltbereiten und mit „Backsteinen“ bewaffneten „Linksextremen“. Gegen eine vermeintliche „Übermacht von 70 Gegnern“ und sich gegen linke Angriffe zur Wehr setzend, sei Grewe mit anderen Rechten in das Zugabteil eingedrungen, um vermutlich eingeschlossene Kameraden aus den Klauen der „linksextremen Szene“ zu befreien. Seine Gewalttaten versuchte er so zur „Nothilfe“ umzudeuten.

Dennoch verließ Grewe flugs den Tatort. Angestiftet zur Flucht vor der Polizei wurde Michael Grewe offenbar durch Udo Pastörs (Fraktionsvorsitzender der NPD-Landtagsfraktion), wie aus der Erklärung weiter hervorgeht. Dieser habe ihn beauftragt zu Fuß ein am Bahnhof im über zwei Stunden entfernten Schwaan abgeparkten VW-Bus aufzusuchen, um später in Pölchow wartende Neonazis zur Demonstration nach Rostock zu geleiten. Unterbrochen wurde sein spontaner Geländemarsch durch die eintreffende Polizei, die zunächst Grewes Personalien aufnahm. Dass die zuständige Polizeidienststelle später die Ermittlungen auf die Opfer des Angriffs lenkte und gegen Angreifer wie Michael Grewe lange untätig blieb, wurde mit dem Fandungsaufruf der Polizei noch überboten. Zu Recht handelte sich die Polizei damit Spott und Hohn von Beobachtern der rechten Szene ein, war Michael Grewe ihnen doch aufgrund seiner rechten Aktivitäten bereits seit Jahrzehnten ein Begriff.

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