Ticket zum Prügeln
Bericht vom achten Prozesstag am 05. März 2010 in der Verhandlung um den Neonazi-Überfall in Pölchow 2007
Freispruch forderte das NPD-Landtagsmitglied Michael Andrejewski für seinen Mandanten und Parteikollegen Michael Grewe und meinte, Zivilcourage gegen Rechts sei vergleichbar mit Antisemitismus oder Rassismus. Die Verteidiger der Angeklagten hielten am heutigen achten Verhandlungstag ihre Plädoyers im Prozess um den Überfall von Neonazis auf nicht-rechte Jugendliche in Pölchow im Sommer 2007, das Urteil wird am 16. März erwartet.
Bereits in ihrem Plädoyer am vergangenen Verhandlungstag hatte die Staatsanwältin mitgeteilt, dass Stefan V. freigesprochen werden müsse. Es sei zwar davon auszugehen, dass er an dem Angriff beteiligt war, doch im Prozess konnte ihm keine genaue Tat nachgewiesen werden. Diesem Urteil schloss sich dessen Verteidiger Thomas Kampelmann an und wies darauf hin, dass nur ein Zeuge ihn erkannt hat, über genauere Beteiligungen an dem Angriff jedoch keine Angaben machen konnte.
NPD bemüht antisemitischen Vergleich
Dem folgte das NPD-Landtagsmitglied Michael Andrejewski mit einem Plädoyer für seinen Parteikollegen und -Mitarbeiter Michael Grewe. Er wollte einmal mehr glauben machen, dass der Angriff der Neonazis auf den Waggon der nicht-rechten Jugendlichen durch diese provoziert, gar gezielt herbeigeführt worden sei, als sie eine kleinere Gruppe von Neonazis zum Verlassen des Abteils aufgefordert hatten. Die auch als Zeugen vorgeladenen Rechten seien dabei selbst geschlagen worden, behauptete er, obgleich von diesen vermeintlichen Opfern niemand das vor Gericht ausgesagt hatte. Ausholend verurteilte Andrejewski jedoch diese Konfrontation mit den Neonazis, die er als Versuch bewertete, eine Reaktion der größeren Gruppe Rechter zu provozieren. Solch ein Engagement gegen Neonazis, die sich bewusst für eine mörderische und menschenverachtende Ideologie aussprechen, setzte er gleich mit antisemitischer und rassistischer Gewalt. Man stelle sich vor, fragte er in bekannter NPD-Diktion, Ausländer oder Juden würden aus einem Zug herausgeworfen werden. Dahinter verberge sich eine „Apartheidsgesinnung der linken Schläger“. Dabei räumte er selbst ein, die Rechten seien „billig davon gekommen“. Würde Andrejewski mit Linken in einem Zug sitzen, würde er sofort sein Testament machen.
Grewe zum Hilfs-Sheriff stilisiert
Dass Michael Grewe in den Waggon der nicht-rechten Jugendgruppe stürmte, wertete Michael Andrejewski als Notwehrhandlung und einen Versuch zur Hilfe. Zynisch kommentierte er, der Besitz eines Zugtickets habe Grewe zum Betreten des Waggons ermächtigt. Er hätte „dabei genau so gehandelt, wie ein Polizeibeamter auch“. Die Aussagen der Betroffenen bewertete Andrejewski als abgesprochen und unglaubwürdig, während der Verteidiger stattdessen Berichte von Zeugen wie Nadine B. – die sich unentwegt in Widersprüche verstrickte, Lang- und Kurzhaarige verwechselte und Linke im Zug Steine hin- und herwerfen gesehen haben will – als seriös anführte.
Ausführlich ließ er sich über Grewes Frisur wie auch über Zeugenaussagen über dessen Einsatz von Quarzsandhandschuhen aus. Da der Neonazi und Aktivist des NPD-Ordnungsdienstes wisse, dass solche bei Demonstrationen nicht erlaubt seien, würde er sie natürlich auch nicht mit sich führen. Sein Mandant wisse, dass das Tragen von Waffen strafbar sei – derselbe Grewe, bei dem bereits verbotene Waffen wie eine Maschinenpistole und Munition gefunden worden sind. Ohne diese Waffe und angesichts der Notwehr würde jedoch auch der Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung nicht zutreffen. Des Landfriedensbruchs hätte Grewe sich nicht schuldig gemacht, da zwischen den Angreifern im Zug und den prügelnden Neonazis auf dem Bahnsteig keine räumliche Nähe bestanden hätte. Es sei fragwürdig, ob Grewe überhaupt Teil einer Menschenmenge gewesen sei. Er wäre nach Auffassung von Andrejewski freizusprechen.
„Geschätzter“ NPD-Kollege
Der Verteidiger von Dennis F., der Rostocker Anwalt Sven Rathjens, schloss sich dem Plädoyer des NPD-Landtagsabgeordneten an und wollte die Aussagen seiner „geschätzten Kollegen“ unterstrichen wissen. Den Überfall der Neonazis bewertete er als Folge eines „linken“ Angriffs, bei dem Rechte zur Hilfe gekommen seien. Diese Nothilfe sei gerechtfertigt gewesen, weshalb er für seinen Mandanten wegen fahrlässiger Körperverletzung maximal eine Bewährungsstrafe von sechs Monaten forderte. Sein Bedauern gelte jenen, meinte er abschließend, die als Unbeteiligte in die Ereignisse hereingezogen worden seien. Dem schloss sich noch kurz sein Mandant F., während Michael Grewe und Stefan V. auch zum Prozessende sich eines Kommentars enthielten.
Das Urteil wird am 16. März verkündet.
Weitere Informationen zu den Ereignisse in Pölchow ausführlich unter:
http://www.poelchow-prozess.info
Prozessgruppe Pölchow, 05. März 2010