Milde Strafen für brutale Schläger

Bericht vom Tag der Urteilsverkündung am 16. März 2010 in der Verhandlung um den Neonazi-Überfall in Pölchow 2007

Ein Jahr Freiheitsstrafe, ausgesetzt auf drei Jahre Bewährung sowie eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten, ausgesetzt auf zwei Jahre. So lauten die ausgesprochen milden Urteile gegen die Neonazis Dennis F. und Michael Grewe wegen Landfriedensbruch in Tateinheit mit Körperverletzung, die heute vor dem Landgericht Rostock gesprochen wurden. Zudem müssen die beiden Neonazis 75 bzw. 150 Sozialstunden ableisten. Der dritte Angeklagte Stefan V. wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Innerhalb einer Woche kann Revision gegen das Urteil eingelegt werden. „Ein langes Verfahren geht zu Ende, zumindest für diese Instanz“, kommentierte der Richter Wolfgang Strauß zu Beginn des achten und letzten Verhandlungstages.

Richter bestreitet Ermittlungspannen

In seinem Ausführungen zum Tathergang folgte der Richter weitgehend den Aussagen der Betroffenen und stellte heraus, dass es sich – anders als von den Neonazis behauptet – nicht um eine wechselseitige Schlägerei, sondern um einen rechten Übergriff auf links-alternative Jugendliche handelte. Demnach begaben sich am 30. Juni 2007 etwa 50 bis 60 Besucher vom Fusion-Festival in Lärz, dem Aufruf zur Teilnahme an einer Demonstration gegen die NPD in Rostock folgend, mit mindestens einem Bus in Richtung Hansestadt. In Schwaan wurde die Fahrt mit der S-Bahn fortgesetzt. Die Jugendlichen – die ihrer Kleidung nach eher dem linken Spektrum zuzuordnen waren – eilten zum Zug, der schon in den Bahnhof eingefahren war und bestiegen den ersten Waggon. Dort trafen sie auf sieben Neonazis, die daraufhin mit verbalen Drohungen und im Zuge einer Rempelei am Haltepunkt Pölchow aus dem Waggon gedrängt wurden. Sichtbare Verletzungen trugen diese nicht davon. Die Angeklagten Michael Grewe und Dennis Franke, die Teil einer Gruppe von bis zu 150 Neonazis waren, die auf der Fahrt nach Rostock in den hinteren Waggons des Zuges reisten, nahmen diesen Vorfall mit weiteren Neonazis zum Anlass, um in den ersten Waggon zu gelangen. „Gar keine Diskussion“ gibt es nach Auffassung des Richters darüber, dass dabei eine Scheibe von Außen zu Bruch ging. Im weiteren Verlauf zeichnete Grewe für eine „Vielzahl von Schlägen und Tritten gegen Personen die eher dem linken Spektrum zugeordnet wurden, aber auch gegen Unbeteiligte“ verantwortlich. Grewe habe dabei nachweislich auf mindestens vier Personen eingeschlagen und auch die Tatbeteiligung von Dennis F. sei unstrittig. Da vor dem Zug weitere Neonazis im Spalier standen, zögerten die Betroffenen des Angriffs zunächst den Waggon zu verlassen. Vom Bahnsteig aus wurden einige Opfer schließlich über einen Jägerzaun geworfen und eine Böschung hinunter gestoßen.

Im weiteren Verlauf der Schilderung über den Tathergang verwahrte sich der Vorsitzende Richter Wolfgang Strauß gegen eine Kritik an den polizeilichen Ermittlungen. Der Polizei sei „kein Vorwurf zu machen“ und von einer „großen Polizeipanne“ könne nicht die Rede sein. Dabei verwies Strauß auch auf das Video vom Polizeieinsatz, indem die eingesetzten Polizeibeamten über Funk auf eine „Schlägerei“ zwischen Linken und Rechten am Bahnhof Pölchow in Kenntnis gesetzt wurden. Wie die Prozessgruppe Pölchow bereits berichtete, zeigten diese Aufnahmen jedoch auch die Spuren der Gewalt, die jeder Vorstellung einer wechselseitigen Auseinandersetzung diametral entgegenstehen und dokumentieren, wie die Betroffenen des Angriffs – viele von ihnen erheblich verletzt – im Gegensatz zu ihren Angreifern intensiv kontrolliert und videographiert wurden.

NPD-„Ordnungsdienst“ schlug wahllos auf Menschen ein

Die Verurteilung von Michael Grewe und Dennis F. müsse auf einfache Körperverletzung lauten. Der Einsatz von Waffen schien dem Gericht fragwürdig. Die Aussage eines Betroffenen, der im Prozess als Nebenkläger auftrat und berichtete Grewe habe mit Quarzsandhandschuhen zugeschlagen, wurde angezweifelt. Eine Unterscheidung der schlagkraftverstärkenden Handschuhe von gewöhnlichen Motoradhandschuhen sei nur schwer möglich. Auch sei den Angeklagten keine gemeinschaftliche Tathandlung nachzuweisen. Dies sorgte nicht zuletzt deshalb für Irritationen, weil die Angeklagten in ihren schriftlichen Einlassungen selbst über ihr Zusammenwirken mit weiteren Anhängern der rechten Szene Auskunft gaben. So teilte Dennis F. schriftlich mit, wie er „ziemlich zeitgleich“ mit Grewe „den Waggon betrat“, um später mit Grewe und „anderen […] Personen aus dem rechten Lager“ festzustellen, dass sich dort keine weiteren Rechten befinden.

Beide Angeklagte wurden des Landfriedensbruchs für schuldig befunden, da sie aus einer Gruppe von Menschen agierten. Durch das Verhalten von Michael Grewe, den das Gericht als „Rädelsführer“ des rechten Übergriffs ausmachte, sah das Gericht zudem den besonders schweren Fall des Landfriedensbruchs erfüllt. Da er ausgab durch seine Tätigkeit im „Ordnungsdienst“ der NPD um Recht und Gesetz bemüht zu sein, bezeichnete der Richter seine Taten als „besonders verwerflich“. Ihm sei strafverschärfend anzulasten, dass er in dieser Position „wahllos auf Menschen einschlägt.“ In dem Zug nach Rostock befanden sich auch Familien mit Kindern. Die Taten haben damit, so der Vorsitzende Richter, das „Sicherheitsgefühl der Bevölkerung“ beeinträchtigt.

Gericht verkennt rechte Tatmotivation

Kaum Relevanz wurde bei der Bestimmung des Strafmaßes den Vorstrafen der Angeklagten beigemessen, da sie im Fall von Grewe bereits mehrere Jahre zurückliegen und der Bewährungsverlauf von Dennis F. „positiv“ gewesen sei. Letzterem wurde auch zu Gute gehalten, dass er sich am Ende der Beweisaufnahme zu einer Art Entschuldigung durchgerungen hatte, die jenen galt, die als „Unbeteiligte“ den Angriffen ausgesetzt waren. Strafmildernd wurde vom Gericht zudem gewertet, dass der rechte Übergriff in Pölchow über zwei Jahre zurückliegt und die beiden Angeklagten Grewe und Franke seitdem nicht wieder strafrechtlich in Erscheinung getreten sind. Auch habe es durch die vorangegangene Rempelei im Zug einen Anlass für die Tat gegeben, der diese jedoch „in keinster Weise“ entschuldige.

Auf die politische Gesinnung der Angeklagten wollte der Richter keinen direkten Bezug nehmen, denn die Zugehörigkeit zu einer politischen Organisation dürfe keinen Einfluss auf das Strafmaß nehmen. Dass sich der Vorsitzende Richter für ein NPD-Verbot ausspreche, „stehe auf einem anderen Blatt.“ Das Gericht verkannte jedoch die rechte Tatmotivation, die während der Tatausführung deutlich wurde: Etwa durch Parolen und Kommandos, aber auch durch eine Art „Selektion“ der Opfer, über die Zeugen im Prozess berichtet hatten. Die Anwälte der drei Nebenkläger hatten in ihren Plädoyers eindrücklich auf den ideologischen Hintergrund der Gewalt hingewiesen. Dass dieser völlig ausgeblendet wurde sei „skandalös“, so ein Nebenklagevertreter.

Vor Urteil: Mehrere Menschen durch Neonazis verletzt

Noch vor Beginn der Gerichtsverhandlung gingen Neonazis erneut gewaltsam gegen linke Prozessbeobachter vor. In der Gruppe von Rechten befanden sich neben den Angeklagten Grewe und Franke auch ranghohe NPD-Funktionäre wie der wegen gefährlicher Körperverletzung vorbestrafte Stefan Köster. Aus der Gruppe heraus schlugen und warfen Neonazis mit schweren Gegenständen um sich. Laut einem Bericht der taz warfen sie dabei auch einen Feuerlöscher aus mehreren Metern Höhe. Bei den Übergriffen wurden mehrere Menschen verletzt und mussten ärztlich behandelt werden. Der Neonazi David Petereit, der für die NPD in der Rostocker Bürgerschaft sitzt, filmte die Szenerie. Obwohl für den Prozess von Beginn an enorme Sicherheitsvorkehrungen galten, traf die Polizei erst kurz vor Beginn der Verhandlung ein und begann damit zunächst die Neonazis in den Gerichtsaal zu lotsen. Während des Prozesses wurden die bis zu 60 anwesenden Neonazis schließlich durch eine Polizeikette streng von nicht-rechten Zuhörern getrennt.

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