Prozessgruppe Pölchow » Hintergrund https://systemausfall.org/~poelchow-prozess Informationen und Hintergründe zum Neonazi-Überfall in Pölchow Thu, 29 Mar 2012 14:15:26 +0000 http://wordpress.org/?v=2.9.1 en hourly 1 Nebenklagevertreterin: „Verurteilte können weiter grinsen“ https://systemausfall.org/~poelchow-prozess/?p=158 https://systemausfall.org/~poelchow-prozess/?p=158#comments Tue, 23 Mar 2010 19:44:02 +0000 admin https://systemausfall.org/~poelchow-prozess/?p=158 Nachfolgend veröffentlichen wir eine Erklärung von Rita Belter, die im Prozess um den Angriff von Neonazis auf links-alternative Jugendliche in Pölchow als Vertreterin der Nebenklage auftrat und nun Stellung zum Urteil bezieht.

Stellungnahme der Nebenklagevertreterin zum Pölchow-Urteil

Die Geschichte steht in aller Klarheit fest: ca. 60 Teilnehmer des Festivals „Fusion“ werden am Bahnhof Pölchow von ca. 120 Nazis angegriffen; der Waggon wird mit Steinen attackiert, es dringen Schläger in den Zug ein, es wird eine Vielzahl von Menschen verletzt, Linke aus dem Zug und teilweise über den angrenzenden Zaun geschmissen…

All das hat das Landgericht Rostock zutreffend zur Grundlage eines Urteils gemacht, welches in Schuldspruch und Strafzumessung so gar nicht mit den getroffenen Feststellungen korrespondieren will. So wurden die Angeklagten zwar wegen Landfriedensbruch verurteilt, jedoch nur wegen einfacher Körperverletzung. Eine gemeinschaftliche Begehung sei nicht ersichtlich. Nicht?! Man stelle sich vor: aus einer Menge von ca. 120 Nazis vor dem angegriffenen Waggon lösen sich 2 Gruppen, die durch die hintere und vordere Waggontür in den Zug strömen, wobei zumindest die Anführer der beiden Gruppen (die beiden verurteilten Angeklagten) mehrfach auf Menschen einschlagen und -treten. In ihrem Schlepptau nicht nur ein Kameramann, der alles aufzeichnet, sondern weitere Beteiligte, die zusammen mit den beiden Angeklagten den Zug nach vermeintlichen Antifas durchkämmen. Diese Gruppen sorgen dafür, dass die angegriffenen Personen teils aus dem Zug in die draußen wartende Menge geschubst werden, wo es weitere Schläge und Tritte gibt oder die Zuginsassen „freiwillig“ den Waggon verlassen. Ein bewusstes Zusammenwirken der rechten Schläger also, was zu einer viel höheren Gefährlichkeit der konkreten Tatsituation führt als eine sog. einfache Körperverletzung. Ein Umstand, der zu einer gesetzlich vorgesehenen Mindestfreiheitsstrafe von 6 Monaten führt, zumindest nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB und der hierzu ergangenen Rechtsprechung.
Warum sich das Landgericht Rostock darüber hinwegsetzt, ist weder nachvollziehbar noch erklärbar. Entsprechendes gilt für die verhängten Strafen. Ein Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung für den mehrfach u.a. wegen Körperverletzungen vorbestraften Angeklagten Dennis F., dem die Verfahrensverzögerungen in die Hände spielten, so dass eine zwischenzeitlich verhängte Bewährungsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung nunmehr wohl erlassen wird. Ebenfalls eine Bewährungsstrafe für den Chef des Ordnungsdienstes der NPD, der, wenn man den Ausführungen seines Verteidigers Glauben schenkt, als Quasi-Polizist für Ordnung sorgen wollte. Daß er hierbei mindestens 4 Zuginsassen vorsätzlich verletzte und Sprüche wie „Reißt ihnen die Piercings raus“ u.ä. skandierte, hielt ihn nicht davon ab eine ominöse Notwehrlage gegen angeblich vermummte militante und bewaffnete Autonome zu konstruieren, die mit der Inaugenscheinnahme des vor Ort aufgenommenen Polizeivideos vollends in Staub zerfiel: kein einziger verletzter Nazi zu sehen, auch keine schwarz vermummten Autonomen, dafür eine Unzahl von Glassplittern, Haarbüschel und Blut im Zug sowie eine Vielzahl verletzter linker Jugendlicher.
Diesen wurde in der Urteilsbegründung zur Last gelegt, sie hätten viel zu spät Anzeigen erstattet. Interessanterweise gab es bereits vor Ort Versuche Strafanzeigen gegen die Nazis zu erstatten. Da aber Udo Pastörs gegenüber den eingetroffenen Ermittlungsbeamten sogleich eine an den Haaren herbeigezogene Geschichte von einem angeblich linken Überfall vom Stapel ließ, wurden die Angegriffenen als Beschuldigte belehrt und ausgiebig videographiert. Die Menschen, die sich gegen diese Behandlung wehrten und Widerspruch einlegten, waren dann auch die, gegen die sich das Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruch in Pölchow zunächst richtete.
Die Rechten sollten – nachdem der Zug aus Pölchow am Bahnhof Rostock eingetroffen war – ebenfalls videographiert werden. Diese Maßnahme wurde allerdings abgebrochen und die Aufzeichnungen aus „Datenschutzgründen“ gelöscht.
In der Urteilsbegründung stellt das Landgericht Rostock heraus, der Polizei sei kein Vorwurf zu machen. Kein Vorwurf für die unzureichenden Bildaufzeichnungen der Rechten, die nicht nur zu einer öffentlichen Fahndung nach einem bereits namentlich bekannten Beschuldigten führten, sondern auch zu der ursprünglich beschlossenen Nichteröffnung des Verfahrens aufgrund mangelhafter Lichtbildvorlagen.
Vor weiteren Überfällen der Nazis auf politisch anders denkende wird diese Entscheidung des Gerichtes wohl kaum abschrecken. So können die Verurteilten weiter grinsen, wie sie es die gesamte Verhandlung über, insbesondere bei den Vernehmungen der geschädigten Zeugen, getan haben.

Am Ende noch ein Wort zu einem Artikel der jungen Welt vom 17.03.2010, der den krönenden Abschluß einer Pannenserie darstellt: Wenn Sie, Herr Frank Brunner, in einer Hauptverhandlung feststellen, dass zuhörende Nazis private Daten aufzeichnen, sollten Sie den Mund aufmachen, dass dieses sofort unterbunden und die Aufzeichnungen eingezogen werden können. Eine telefonische Aussage im Februar 2010 „derzeit kein Interview zu geben“ sodann in falsche Zusammenhänge zu rücken, mit unvollständigen Zitaten aneinanderzureihen und 3 Wochen später – nach Urteilsverkündung – zu veröffentlichen, zeugt von der Qualität des Journalismus, die man insbesondere der Bildzeitung nachsagt.

Rita Belter

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“Brutale Gewalt ist Bestandteil wie logische Konsequenz ihres Hasses” https://systemausfall.org/~poelchow-prozess/?p=128 https://systemausfall.org/~poelchow-prozess/?p=128#comments Mon, 15 Mar 2010 22:45:24 +0000 admin https://systemausfall.org/~poelchow-prozess/?p=128 Rede der Prozessgruppe Pölchow zur Kundgebung “Rechter Gewalt offensiv
entgegentreten” am 15. März in Rostock.

In der Verhandlung des rechten Überfalls in Pölchow ist einmal mehr deutlich geworden, wie brutal die Nazis gegen ihre Opfer vorgegangen sind: Ohne Hemmungen traten und schlugen sie auf sie ein, zerrten sie an ihren Haaren in den Mob der Angreifer, prügelten mit Holzlatten, warfen sie eine Böschung hinunter. Keiner der anwesenden NPD-Kader versuchte, die Neonazis von der Gewalt abzuhalten – warum auch, ist doch die Gewalt untrennbarer Teil jeder rechten Ideologie.

Stattdessen nahmen die Partei-Funktionäre die Schläger wohlwollend in Schutz: Während die im Internet ihren brutalen Exzess feierten und T-Shirts mit der Aufschrift “Endstation Pölchow” zur Schau stellten, wetterte die NPD über einen linken Überfall. Gegen diesen habe man sich zur Wehr setzen müssen, so die Neonazi-Partei gegenüber Presse und Polizei.

Und diese glaubten trotz gegenteiliger Bilder am Tatort diesen Lügenmärchen. Von Auseinandersetzungen zwischen “Linken und Rechten” schrieben sie, die Polizei ermittelte monatelang gegen die Opfer. Und vergaß dabei die eigentlichen Täter: Michael Grewe, ein überregional bekannter Neonazi-Funktionär und Kommunalpolitiker der NPD, wurde per Steckbrief als “unbekannter Randalierer” gesucht. Woher sollte die Polizei die Rechten auch kennen, hatte sie in Pölchow doch weder ihre Personalien aufgenommen noch die Videos beschlagnahmt, die die Neonazis eifrig von ihrem Überfall gemacht hatten. Diesen Ermittlungspannen ist es geschuldet, dass von den vielen Rechten nur drei auf der Anklagebank landeten – ganze zweieinhalb Jahre nach dem Angriff.

Doch was sie mit ihnen im Gericht anfangen sollte, schien die Staatsanwaltschaft nicht so richtig zu wissen. Ihre Beiträge im Gericht ließen sich an einer Hand abzählen. Und wenn die Staatsanwältin mal etwas zu sagen hatte, schien es die Tatverdächtigen noch zu entlasten. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Staatsanwaltschaft kümmerliche Bewährungsstrafen für die beiden Hauptverdächtigen forderte und einem sogar unterstellte, sich von der Neonazi-Szene distanziert zu haben.

Aber selbst das war den Angeklagten noch zu viel. Befragen lassen wollten sie sich nicht, aber unverfroren tischen der NPD-Funktionär Michael Grewe und Dennis Franke in Stellungnahmen dem Gericht Märchen auf, wie sie wagemutig gegen angreifende Linke vorgegangen seien. Die Anwälte, darunter das NPD-Landtagsmitglied Michael Andrejewksi, der Rostocker Hausanwalt der Neonazi-Szene Thomas Penneke oder dessen Kanzleikollege Sven Rathjens, sekundierten. In ihren Schauergeschichten hieß es, dass die Opfer einen Angriff der Neonazis erst hätten provozieren wollen oder mit Steinen aus dem Zug heraus die Rechten angegriffen hätten. Todesmutig und engelsgleich dagegen seien die Neonazis in den Waggon dieser angeblichen “Linksextremisten” gesprungen, um Ruhe herzustellen. Denn gewalttätig, so hieß es, könnten sie ja gar nicht sein, schließlich seien sie ja in der Friedenstruppe namens NPD-Ordnungsdienst aktiv. Die Polizei, so Neonazi-Anwalt Andrejewski, hätte auch nicht anders gehandelt.

Solche Phrasen sind es, mit denen seit Jahren Neonazi-Gewalt nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern kleingeredet oder legitimiert wird. Der Hass gegen Andersdenkende, gegen Menschen nicht-deutscher Herkunft oder auch gegen Obdachlose eint die rechte Szene, und brutale Gewalt ist Bestandteil wie logische Konsequenz ihres Hasses. Einschüchterungen, Drohungen und Übergriffe gehören zum Alltag von nicht-rechten Jugendlichen oder Migranten. Viele, so Opferberatungsstellen, nehmen dies als Normalität wahr und denken gar nicht mal mehr an den Gang zur Polizei oder Gegenwehr.

Nicht nur in der mecklenburgischen Provinz, sondern auch in Rostock und unserer unmittelbaren Nachbarschaft droht das Auftreten von Neonazis zum Alltag zu werden. Sie bedrohen alternative Jugendliche, schänden Gedenkstätten, greifen linke Projekte an oder werfen die Scheiben demokratischer Politiker ein. Nicht nur auf Flugblättern und in Schmierereien propagieren sie ihre Ideologie des Hasses. Nur ein paar Meter entfernt von hier verbreiten Neonazi-Laden und NPD-Büro seit Jahren ihre Hetzpropaganda und werden viel zu selten in ihrem Treiben gestört.

Eigeninitiative und ein starkes und selbstbewusstes Auftreten sind es jedoch, die Neonazis in die Schranken weisen können. Dem Staat können wir den Antifaschismus nicht überlassen: Die Polizei wirft Neonazis wie ihre Opfer unterschiedslos in einen Topf. Medien und vermeintlich linke Internetprojekte wie “Endstation Rechts” folgen dieser Argumentation und reden schnellstmöglich den “Extremismus” daher. Die rassistische, nationalistische und antisemitische Ideologie der Neonazis als Basis ihrer Gewalt blenden sie dabei aus. Der Staatsanwaltschaft, vor der wir heute stehen, war diese Ideologie keiner Erwähnung wert. Der Hass der Neonazis und ihre Propaganda sind jedoch die Grundlage wie auch der Kern jeder rechten Gewalt. Ein konsequenter Antifaschismus nimmt deshalb nicht Neonazis als Straftäter ins Visier, sondern eine politische Bewegung, die nichts anderes als die Barbarei herstellen will und ihren Ursprung in der Mitte der bürgerlichen Gesellschaft hat. Der Staat ist kein Antifaschist – nur das konsequente Engagement von uns allen vor Ort und auf der Straße kann rechte Gewalt effektiv eindämmen.

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Michael Andrejewski: “Berufsrevolutionär von Rechts” https://systemausfall.org/~poelchow-prozess/?p=113 https://systemausfall.org/~poelchow-prozess/?p=113#comments Fri, 05 Mar 2010 16:18:09 +0000 admin https://systemausfall.org/~poelchow-prozess/?p=113 Vor dem Landgericht Rostock tritt der in Baden-Baden geborene Michael Andrejewski (Jahrgang 1959) neben Thomas Penneke (Burschenschaft Redaria-Allemannia Rostock) als Rechtsanwalt für den Neonazi Michael Grewe auf. Ihn und seinen Mandanten verbinden jedoch nicht nur die aktuellen Verhandlungen vor dem Rostocker Landgericht: Als Kollegen, Gesinnungs- und Parteigenossen gehören Grewe und Andrejewski der NPD in Mecklenburg-Vorpommern an. Beide propagieren eine menschenverachtende und gewaltverherrlichende Ideologie.

Der „ideologische Brandstifter“ von Rostock-Lichtenhagen

Michael Andrejewski begann 1982 in der Hansestadt Hamburg zunächst ein Studium der Volkswirtschaftslehre und drei Jahre später ein Jura-Studium. Nahezu zeitgleich mit Beginn seiner akademischen Laufbahn nahm mit der Gründung der „Hamburger Liste für Ausländerstopp“ (HLA) im April 1982 auch die politische Laufbahn von Michael Andrejewski ihren Anfang. Er fungierte als stellvertretender Vorsitzender dieser NPD-nahen Vereinigung und engagierte sich 1989 zudem als Sprecher der Hamburger DVU-Hochschulgruppe.

Nach der Wiedervereinigung verlagerte Andrejewski sein politisches Betätigungsfeld in die neuen Bundesländer und wurde vornehmlich in Rostock aktiv. Dort setzte er sein Studium fort und war Mitbegründer der rechten Gruppierung „Rostock bleibt deutsch“.

Überregionale Bekanntheit erlangte Michael Andrejewski, nachdem ein Mob aus Neonazis und Anwohnern im August 1992 über mehrere Tage hinweg unter dem Beifall tausender Zuschauer eine Flüchtlingsunterkunft im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen angegriffen hatte. Die antiziganistisch motivierten Angriffe hatten sich später auf ein Wohnheim vietnamesischer Vertragsarbeiter ausgeweitet. Etwa 120 Menschen konnten nur knapp dem Tod in den Flammen entkommen. Andrejewski zeichnete im Vorfeld des Pogroms namentlich für ein Flugblatt verantwortlich, das zum „Widerstand gegen die Ausländerflut“ aufgerufen hatte. Der Aufruf firmierte unter der „Aktion Rostock bleibt deutsch“ mit einer Hamburger Postfachadresse und wurde tausendfach in und um Rostock-Lichtenhagen verteilt. An die „Lieben Rostocker Landsleute“ gerichtet hieß es dort unter anderem, die HLA wolle dazu „anregen, in Rostock eine Bürgerinitiative zu gründen, die deutsche Interessen […] vertritt“. Bezugnehmend auf dieses Flugblatt äußerte Andrejewski 2007 im „Deutschland Radio“, der Aufruf stehe nicht im Zusammenhang mit dem Asylbewerberheim und habe „überhaupt nicht zur Gewalt aufgerufen“. Gemäß dieser Logik fand die rassistische Hetze bereits vier Monate nach dem Pogrom durch die von ihn gegründete „Aktion Mecklenburg/Vorpommern bleibt unser“ (MBU) in Rostock unbeeindruckt ihre Fortsetzung.

Der NPD trat Andrejewski 1994 bei. Er verließ die Stadt Rostock und unterstützte bis zum Jahr 2000 bundesweit die Wahlkämpfe der neonazistischen Partei. Nach einer zweijährigen Referendariatszeit in Stendal beendete er im Alter von 43 Jahren sein Studium mit dem Zweiten Staatsexamen.

Anwalt der „kleinen Leute“?

Im Jahr 2003 ließ sich Michael Andrejewski in einer Plattenbausiedlung in der Kleinstadt Anklam im Landkreis Ostvorpommern nieder. In dem 15.000-Einwohner-Städtchen waren der NPD-Politiker zunächst arbeits- und seine Partei regional nahezu bedeutungslos. Nach nur einem Jahr gelang ihm jedoch mit acht Prozent der Wählerstimmen der Einzug in den Anklamer Stadtrat. Zudem vertritt er die NPD seither im Kreistag von Ostvorpommern. Andrejewski gilt als der aktivste Kommunalpolitiker der NPD im Bundesland. Bereits mehrfach ist es ihm gelungen, auf den Meinungsbildungsprozess in der Anklamer Stadtvertretung Einfluss zu nehmen und sich zum Anwalt der „kleinen Leute“ zu stilisieren. Ideologische Botschaften verknüpft er mit örtlichen sozialen Problemen. So etwa, wenn Andrejewski mit Erfolg den Erhalt einer Kinderbibliothek gegen die Förderung einer Gedenkstätte für Opfer der Wehrmachtsjustiz ausspielt oder Debatten um die Haushaltspolitik zur Pseudo-Systemkritik nutzt. Seine in der Kommunalpolitik gemachten Erfahrungen hat Michael Andrejewski für seine Parteikollegen in einem „Leitfaden für die kommunalpolitische Arbeit“ zusammengefasst und dazu genutzt, mit parlamentarischen Aufgaben überforderte NPD-Kommunalpolitiker in der Region aktiv in ihrer Arbeit zu unterstützen.

Zur Bundestagswahl 2005 kandidierte Andrejewski als NPD-Spitzenkandidat. In Vorbereitung auf die Landtagswahlen 2006 hatten Michael Andrejewski und der Kameradschaftsführer Tino Müller ein Praktikum bei der sächsischen NPD-Landtagsfraktion absolviert. Kurz darauf wurde Andrejewski in den Landtag gewählt, wo er seither als innenpolitischer Sprecher der NPD-Fraktion auftritt und für Rechtsfragen zuständig ist. „Landtagszirkus“, so Andrejewski gegenüber der „TAZ“, sei für ihn jedoch nebensächlich. Die Wähler der NPD wären schon „[…] zufrieden, wenn wir denen in Schwerin ordentlich die Meinung geigen.“ Das „Bürgerbüro“ des Landtagsabgeordneten befand sich zunächst bei einem „nationalen Wohnprojekt“ in Salchow – einem abgelegenen Privatgrundstück vor den Toren Anklams – und diente der Anklamer Wohnbevölkerung folglich kaum als Anlaufstelle. Seit Ende 2008 stellt Andrejewski sein Angebot von Sprechstunden und „Hartz IV“-Beratungen in den Räumen der „Pommerschen Volksbücherei“ bereit, über die auch seine Anwaltskanzlei gemeldet ist. Die ehemalige Kaufhalle in der Anklamer Innenstadt war zuvor von den Kameradschafts-Aktivisten und NPD-Vorstandsmitgliedern Enrico Hamisch und dem wegen Körperverletzung verurteilten Alexander Wendt unbemerkt ersteigert worden. Letzterer ist – neben dem Stralsunder NPD-Kader Dirk Arendt – für Andrejewski als Wahlkreismitarbeiter tätig.

Beflügelt von seinen Wahlerfolgen äußerte Andrejewski gelegentlich Ambitionen, einst den Bürgermeister von Anklam zu stellen. Zur Anklamer Bürgermeisterwahl im April 2010 will er diesen vollmundigen Ankündigungen Taten folgen lassen. Zuvor wird die Rechtsaufsicht des Landkreises Ostvorpommern jedoch über seine vermeintliche Verfassungstreue befinden. Bereits bei den Landratswahlen im Mai 2008 scheiterte Michael Andrejewski – wie auch sein vorbestrafter Parteikollege Stefan Köster in Ludwigslust – an den Verfahrensregeln: Kreis- und Landeswahlausschuss zweifelten an seiner Verfassungstreue und versagten ihm die Kandidatur. Ganz unverhohlen spricht Andrejewski, der sich selbst als „Berufsrevolutionär von Rechts“ bezeichnet, von seinem Ziel, eine „nationale Alternative“ zum „herrschende[n] Parteiensystem“ zu schaffen.

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Michael Grewe: Multifunktionär der norddeutschen Neonazi-Szene https://systemausfall.org/~poelchow-prozess/?p=38 https://systemausfall.org/~poelchow-prozess/?p=38#comments Mon, 25 Jan 2010 14:33:57 +0000 admin https://systemausfall.org/~poelchow-prozess/?p=38 Hintergrundinformationen zum Angeklagten im Prozess um den Neonazi-Überfall in Pölchow auf eine Gruppe nicht-rechter Jugendlicher

Seit vielen Jahren ist der gebürtige Hamburger und gelernte Wagenmeister Michael Grewe (Jahrgang 1968) einer der führenden Aktivisten der Neonazi-Szene in Norddeutschland. Im Zuge der dilettantischen Ermittlungen im Fall Pölchow entpuppte er sich hingegen für die Rostocker Polizeidirektion als Unbekannter. So wandten sich die Ermittler – auf ihrer Suche nach einem „unbekannten Randalierer“ – im April 2008 mit einem Fahndungsfoto an die Bevölkerung und baten um Hinweise über den vermeintlich „aus dem Bundesgebiet zugereisten Veranstaltungsteilnehmer“ der NPD-Demonstration vom 30. Juni 2007 in Rostock. Bevor sich Michael Grewe diesem Aufmarsch gegen „linke Gewalttäter“ anschließen konnte, hetzte er laut Augenzeugen im Zug nach Rostock eine Horde prügelnder Neonazis auf alternative Jugendliche.

Devotionalienhändler und Waffennarr

Bereits in den 1980er Jahren ist Michael Grewe durch rechtsextreme Umtriebe in Erscheinung getreten. Er gehörte gemeinsam mit seinen Brüdern Sven und Hans Grewe zu den Kadern der Kameradschafts-Szene im niedersächsischen Lüneburg und zeichnete 1985 für das Neonazi-Fanzine „Kahlschlag“ verantwortlich. Während Sven Grewe als führender Kopf der „Hammerskins Nordmark“ von sich Reden machte, versorgten Hans und Michael Grewe unter dem Geschäftsmotto „von Skins für Skins“ rechte Anhänger jahrelang mit szenetypischer Kleidung und rechten Devotionalien. Ihr Hamburger Neonazi-Laden „Buy or Die“ galt in den 1990er Jahren als Anlaufstelle für Anhänger der rechten Szene in Norddeutschland und wurde unter anderem im Organ der NPD-Jugendorganisation „Einheit und Kampf“ beworben. Während dieser Zeit organisierten Hans und Michael Grewe auch größere Fußballturniere für die rechte Klientel. Kurze Zeit nachdem „Buy oder Die“ 1998 nach Lüneburg verlegt wurde, übernahm der Neonazi Christian Sternberg die Geschäftsleitung. Sternberg gehörte wie Grewe der Kameradschaft „Lüneburg/Uelzen – Trupp 16“ an, die hinsichtlich ihrer Namensgebung der Lüneburger SA-Einheit huldigte.

Michael Grewes Affinität zur Gewalt wurde spätestens offenkundig, nachdem das Landeskriminalamt Hamburg im August 1997 in seiner damaligen Wohnung in Hamburg-Lohbrügge eine Maschinenpistole, einen Karabiner sowie über 1.000 Schuss Munition sichergestellt hatte. Wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz wurde der Waffennarr zu einer auf drei Jahren Bewährung ausgesetzten Haftstrafe von 13 Monaten sowie zu einer Geldstrafe von 1.300 DM verurteilt.

Die NPD als politische Heimat

In den folgenden Jahren suchte Michael Grewe – der mindestens seit Mitte der 1990er Jahre eine „neue“ politische Heimat in der NPD gefunden hatte – sein Agitationsfeld vorwiegend in der mecklenburgischen Provinz und beteiligte sich an einem rechten Siedlungsprojekt im Raum Ludwigslust. Zusammen mit dem Hamburger Neonazi Thomas „Steiner“ Wulff, der Anhänger der rechten Szene 1996 dazu aufgerufen hatte, „sich in Regionen […] auf die eigene Kraft zu besinnen und Kaderkreise zu bilden“, ließ sich Grewe etwa vier Jahre später mit seiner Familie in einem Gutshaus im mecklenburgischen Teldau (OT Amholz) im Landkreis Ludwigslust nieder. Seither dient das Anwesen, das Anwohner auch als „Schloss“ bezeichnen, als Kulisse für eine Reihe szeneinterner Veranstaltungen wie etwa Osterfeuer, Sommer- und Wintersonnenwenden. Im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen ein Neonazi-Magazin wurde das Gut Amholz im Januar 2000 von Polizei und Staatsanwaltschaft durchsucht. Auf der Titelseite einer Ausgabe vom „Zentralorgan“ prangte unverhohlen: „Juden raus!“. Selbiges Magazin hatte den seinerzeit in Teldau ansässigen „Zentralversand“ beworben, der nach eigenen Angaben zum „zentralen Versand des Nationalen Widerstandes“ ausgebaut werden sollte, an diesem Ziel jedoch scheiterte. Die im Juni 1999 gegründete „FSN Medien Zentralversand GmbH“, in die Grewe verwickelt war, wurde nach vier Jahren von Amts wegen aus dem Handelsregister gelöscht.

Neben seinem anhaltenden parteipolitischen Engagement für die NPD, organisierte sich Michael Grewe auch in der mittlerweile verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ), die sich nach dem Vorbild der nationalsozialistischen „Hitler-Jugend“ den militärischen Drill und die Indoktrination von Kindern und Jugendlichen zur Aufgabe gemacht hatte. Die im Raum Ludwigslust wohnenden Familien um das Landtagsmitglied Stefan Köster, den Kreisvorsitzenden Andreas Theißen sowie die Landtagsmitarbeiter Torgai Kliengebiel und Michael Grewe gehörten laut Beobachtern zu den aktivsten der HDJ-Einheit „Mecklenburg und Pommern“. Unter zahlreichen weiteren NPD-Funktionären und militanten Neonazis wurde letzterer im Jahr 2007 auf einem HDJ-„Pfingstlager“ in Eschede gesichtet. Videoaufnahmen zeigen, wie der vierfache Familienvater in einem Hemd der Kameradschaft „Lüneburg/Uelzen – Trupp 16“ durch das Lager patrouilliert. Bereits in den Vorjahren fanden sich auf dem von Joachim Nahtz (NPD) zur Verfügung gestellten Gelände Neonazis zu völkischen Erntedankfesten und Sonnenwendfeiern ein. Wie „Recherche-Nord“ berichtet, sei Grewe dort ein gern gesehener Gast gewesen.

In der Gemeinde Teldau inszenieren sich die Bewohner der neonazistischen Wohngemeinschaft erfolgreich als Biedermänner: Während Thomas Wulff in der Vergangenheit damit prahlte in die Bevölkerung hineinzuwirken und sich im Elternrat der örtlichen Schule engagierte, konnte Michael Grewe bei den Kommunalwahlen 2004 mit 7,6 Prozent der Wählerstimmen (73 Stimmen) für die NPD in den Gemeinderat von Teldau einziehen. Ein Forscherteam der Universität Greifswald konnte bis 2006 keine kommunalpolitischen Aktivitäten seinerseits wahrnehmen und verlieh ihm das Prädikat „Totalausfall“. Derartigen politischen Ämtern augenscheinlich nicht gewachsen, vertrat Grewe die NPD gleichwohl zeitweilig auch im Kreistag von Ludwigslust und wurde von der Partei zur Landtagswahl 2006 als Direktkandidat für den Wahlkreis 9 (Schwerin II) nominiert.

Derzeit fungiert Michael Grewe als Mitarbeiter der NPD-Landtagsfraktion sowie als Beisitzer im NPD-Landesvorstand.

Diese parteipolitischen und parlamentarischen Gehversuche können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Grewe den „Kampf um die Straße“ auch weiterhin propagiert und auslebt. So ist er nicht nur regelmäßiger Teilnehmer, sondern tritt auch als Anmelder und Organisator von Aufmärschen der Neonazi-Szene auf. Nach eigenen Angaben ist er bereits seit Mitte der 1990er Jahre im „Ordnungsdienst der NPD“ tätig. Welche Rolle diesem so genannten Ordnungsdienst innerhalb der Partei beizumessen ist, mussten die Opfer der rechten Gewalt in Pölchow am eigenen Leib erfahren.

„Der hat schon damals so gegrinst“

Für diesen Gewaltexzess muss sich Michael Grewe nunmehr seit dem 20. Januar 2010 vor dem Rostocker Landgericht verantworten. Schwerer Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung lautet der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Mit Kommandos wie „Reißt ihnen die Piercings raus!“ oder „Ihr Schweine, jetzt seid ihr dran!“ soll er sich bei dem Angriff hervorgetan und seine Gesinnungsgenossen zur rechten Gewalt angeheizt haben. Grewe, so berichtete ein Zeuge am ersten Prozesstag, habe „eine Art Führungsposition eingenommen in dieser ganzen Szenerie“. Betroffene gaben an, selbst von Grewe geschlagen worden zu sein und beobachtet zu haben wie dieser einer weiteren Person mehrmals in das Gesicht geschlagen und an den Haaren gezogen hatte. Die drei Nebenkläger belasteten Grewe schwer und konnten den Angeklagten anhand seiner markanten Gesichtszüge zweifelsfrei identifizieren. „Der hat schon damals so gegrinst“, bemerkte einer der Betroffenen im Zeugenstand auf eine Nachfrage des Richters.

Michael Grewe wollte sich auf die Vorwürfe nicht einlassen und ließ durch seinen Rechtsanwalt Michael Andrejewski (NPD-Landtagsmitglied) lediglich eine Erklärung verlesen, die haarsträubende Schutzbehauptungen enthält. So seien die mitreisenden Neonazis – aus dem überschaubaren NPD-Landesverband und der Kameradschaftsszene – ihm weitgehend unbekannt gewesen und zufällig zeitgleich in Güstrow zusammengekommen. Von den alternativen Festivalbesuchern, die sich spontan auf den Weg nach Rostock gemacht hatten, zeichnete Grewe ein dämonisches Bild von schwarz vermummten, Parolen grölenden, gewaltbereiten und mit „Backsteinen“ bewaffneten „Linksextremen“. Gegen eine vermeintliche „Übermacht von 70 Gegnern“ und sich gegen linke Angriffe zur Wehr setzend, sei Grewe mit anderen Rechten in das Zugabteil eingedrungen, um vermutlich eingeschlossene Kameraden aus den Klauen der „linksextremen Szene“ zu befreien. Seine Gewalttaten versuchte er so zur „Nothilfe“ umzudeuten.

Dennoch verließ Grewe flugs den Tatort. Angestiftet zur Flucht vor der Polizei wurde Michael Grewe offenbar durch Udo Pastörs (Fraktionsvorsitzender der NPD-Landtagsfraktion), wie aus der Erklärung weiter hervorgeht. Dieser habe ihn beauftragt zu Fuß ein am Bahnhof im über zwei Stunden entfernten Schwaan abgeparkten VW-Bus aufzusuchen, um später in Pölchow wartende Neonazis zur Demonstration nach Rostock zu geleiten. Unterbrochen wurde sein spontaner Geländemarsch durch die eintreffende Polizei, die zunächst Grewes Personalien aufnahm. Dass die zuständige Polizeidienststelle später die Ermittlungen auf die Opfer des Angriffs lenkte und gegen Angreifer wie Michael Grewe lange untätig blieb, wurde mit dem Fandungsaufruf der Polizei noch überboten. Zu Recht handelte sich die Polizei damit Spott und Hohn von Beobachtern der rechten Szene ein, war Michael Grewe ihnen doch aufgrund seiner rechten Aktivitäten bereits seit Jahrzehnten ein Begriff.

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Gewaltexzess als “Nothilfe” https://systemausfall.org/~poelchow-prozess/?p=28 https://systemausfall.org/~poelchow-prozess/?p=28#comments Wed, 20 Jan 2010 23:40:50 +0000 admin https://systemausfall.org/~poelchow-prozess/?p=28 Bericht vom ersten Prozesstag am 20. Januar 2010 in den Verhandlungen um den Neonazi-Überfall in Pölchow 2007

Vor dem Landgericht Rostock hat heute der Prozess wegen des Neonazi-Überfalls in Pölchow im Juni 2007 begonnen. Eine Gruppe von etwa 60 nicht-rechten Jugendlichen, die an Protesten gegen eine NPD-Demonstration in Rostock teilnehmen wollten, war am Bahnsteig des Ortes aus einer Gruppe von mehr als 100 Neonazis überfallen worden. Brutal traten und schlugen sie mit Fäusten, Flaschen und Zaunlatten auf ihre Opfer ein, zerrten sie an ihren Haaren aus dem Zug und warfen sie eine Böschung hinunter.

Aus der Gruppe der Angreifer sind nunmehr drei Rechte angeklagt: Dennis F. (Jahrgang 1984), Stefan V. (Jahrgang 1985) und Michael Grewe (Jahrgang 1968). Alle drei sind als Neonazis bekannt und schon seit Jahren oder, wie im Fall des Mitarbeiters der NPD-Landtagsfraktion Grewe, seit Jahrzehnten in der Szene aktiv. Ihnen wird schwerer Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen: Mit Kommandos sollen sie die anderen Angreifer angestachelt, auch selber auf ihre Opfer eingeprügelt und daraufhin den Rückzug organisiert haben.

Drei der Betroffenen treten zugleich als Nebenkläger im Prozess auf, für den vorerst fünf Verhandlungstage eingeplant sind. Als Anwälte der Angeklagten treten für Grewe Michael Andrejewski, NPD-Landtagsabgeordneter, für F. Sven Rathjens aus Rostock und für V. ein Anwalt aus Wismar auf.

Zum Beginn der Verhandlungen äußerten sich die Angeklagten nicht zu den Vorwürfen. Grewe ließ allerdings über seinen Anwalt Andrejewski eine Einlassung verlesen, die am gleichen Tag noch auf der Internetseite der NPD Mecklenburg-Vorpommern veröffentlicht wurde und in der er seine Version der Geschehnisse schildert: So will er fast niemanden aus der Reisegruppe der Rechten – aus dem überschaubaren NPD-Landesverband und der Kameradschaftsszene – gekannt haben. Diese seien gänzlich unkoordiniert aus allen Teilen des Bundeslandes angereist, um dann gemeinsam und zeitgleich nach Rostock zu fahren. Beobachtet hätte er jedoch, wie die Reisegruppe der nicht-rechten Jugendlichen vermummt, Parolen rufend und einen schweren Rucksack tragend in Schwaan eingestiegen seien. Der Rucksack, so implizierte Grewe, sei voller mitgebrachter Backsteine gewesen, mit denen sie später im Zug um sich geworfen hätten. Nach angeblichen Belästigungen von Neonazis durch Linke sei Grewe mit anderen Rechten in deren Abteil eingedrungen und hätte eingeschlossene Kameraden befreien wollen. Sich gegen linke Angriffe zur Wehr setzend, sei er von nachdrängenden Rechten immer weiter in die Gruppe der nicht-rechten Jugendlichen hineingeschoben worden. Sein Handeln bezeichnete er als „Nothilfe“.

Nach der Flucht der vermeintlichen Angreifer, vor dem Eintreffen der Polizei, hätte Grewe selber aufbrechen müssen: Der NPD-Fraktionsvorsitzende Udo Pastörs habe ihm den Auftrag erteilt, von Pölchow zu Fuß nach Schwaan aufzubrechen und von dort aus abgestellte Fahrzeuge in Güstrow zu holen, um eilig mit der rechten Reisegruppe weiter nach Rostock fahren zu können. Bevor er jedoch die mehr als 10 Kilometer nach Schwaan flugs zurücklegen konnte, wurde er von der Polizei aufgehalten. Des Weiteren ließ sich Grewe in der Einlassung längere Zeit über seine Gelfrisur und seine „friedensstiftende Rolle“ im NPD-Ordnungsdienst aus.

„Reißt ihnen die Piercings raus!“

Nach einer längeren Pause wurden die drei Nebenkläger als betroffene Zeugen angehört. Sie schilderten, wie sie vom „Fusion-Festival“ zum Protest gegen die geplante NPD-Demonstration Richtung Rostock aufgebrochen waren. Nach dem Einstieg in die Regionalbahn in Schwaan machte sich angesichts der in dem Nachbarwaggon mitfahrenden Neonazis Panik breit. Bedrohlich und gewaltbereit versuchten diese, zu ihnen vorzudringen, woran sie zunächst durch eine verschlossene Zwischentür gehindert werden konnten.

Beim Halt in Pölchow konnten die Rechten durch die Seitentüren in den Waggon gelangen. Sie zerrten die ersten Personen vom Gang nach draußen und prügelten in den Wagen hinein, andere zerstörten die Scheiben von Tür und Fenster oder filmten das Geschehen. Die Nazis sind reingestürmt, schilderte ein Zeuge, es war „überfallartig“. Gezielt suchten sie sich ihre Opfer unter den alternativen Jugendlichen: „Es wurde gewissermaßen selektiert“, beschrieb ein Zeuge die Situation. „Ihr Schweine, jetzt seid ihr dran!“, war zu hören, oder auch: „Reißt ihnen die Piercings raus!“. Grewe, so ein weiterer Zeuge, hat „eine Art Führungsposition eingenommen in dieser ganzen Szenerie“. Zwei der Betroffenen gaben an, von Grewe geschlagen worden zu sein, der dritte Nebenkläger hatte beobachtet, wie er ein anderes Opfer mehrmals in das Gesicht geschlagen und an den Haaren gezogen hatte. Alle Zeugen belasteten Grewe schwer.

Übereinstimmend berichteten die Betroffenen, dass die Neonazis sie aus dem Zug geprügelt hatten. „Man war ausgeliefert“, erzählte einer, es war ein „traumatisches Erlebnis“. Auf dem Bahnsteig wurde weiter auf sie eingeschlagen, bevor sie über oder auch auf einen Zaun und eine Böschung hinunter geworfen wurden. Die Zeugen konnten daraufhin in eine Kleingartenanlage fliehen, wo Anwohner erste Hilfe leisteten.

Das Verhalten der eintreffenden Polizei beschrieben sie als problematisch. Beamte haben sich nicht um sie gekümmert, sie jedoch erkennungsdienstlich behandelt. Als einer der Betroffenen eine Anzeige stellen und das Geschehen schildern wollte, wurde er abgewiesen: Man hätte, so der Polizist, die notwendigen Formulare nicht vor Ort. Auch im Nachhinein haben sich die Ermittlungsbemühungen der Polizei zweifelhaft dargestellt. Lichtbildvorlagen von Tatverdächtigen etwa, berichtete ein Zeuge, waren von schlechter Qualität. Ebenfalls wurde die viele Zeit angesprochen, die seit dem Angriff im Juni 2007 vergangen ist – nach zweieinhalb Jahren könne man sich an gewisse Dinge nur noch schwer erinnern.

Aggressive Anwälte, höhnende Neonazis

Die Verteidiger der angeklagten Rechten versuchten auf dieser Basis durch detailliierte Fragen die Zeugen in Widersprüche zu verwickeln. Zugleich wollten sie mit augenscheinlichen Unterstellungen eine Nähe der Betroffenen zum Linksextremismus und zur Gewaltbereitschaft herbeireden. So versuchten sie zivilgesellschaftliches Engagement gegen Neonazismus mit Straftaten in Verbindung zu bringen. Alle Betroffenen wurden von den Verteidigern nach Rucksäcken voller Steine ausgefragt. Im Aufgreifen dieser Behauptung zeigt sich das Bemühen der Anwälte der Rechten, die Medienstrategie der NPD aufrecht zu erhalten, die schon im direkten Anschluss an den Überfall von einem linken Angriff auf eine friedliche rechte Reisegruppe fabulierte.

Der Anwalt Sven Rathjens und sein Kollege und NPD-Kader Michael Andrejewski führten die Befragung der von der Gewalttat betroffenen Zeugen sehr aggressiv. Unterstützung erhielten sie dabei von den knapp zehn Neonazis im Publikum, welche die Opfer und ihre Schilderungen mit abfälligen Bemerkungen und Gelächter verhöhnten. Unter ihnen befanden sich einschlägig bekannte Rechte aus Rostock sowie aus dem Umfeld der NPD-Landtagsfraktion. Zwei von ihnen, die NPD-Kreistagsabgeordneten Torgai Klingebiel und David Böttcher, mussten die Verhandlung bereits nach kurzer Zeit wieder verlassen: Da sie sich auch in der rechten Gruppe in Pölchow befunden hatten, könnte ihnen im Prozess noch eine Rolle zukommen.

Der Prozess wird am 25. Januar um 9.30 Uhr mit weiteren Zeugenbefragungen fortgeführt.

Weitere Informationen zu den Ereignisse in Pölchow in einer Übersicht unter:
http://www.poelchow-prozess.info

Prozessgruppe Pölchow, 20. Januar 2010

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“Ich dachte, das wars” https://systemausfall.org/~poelchow-prozess/?p=1 https://systemausfall.org/~poelchow-prozess/?p=1#comments Tue, 19 Jan 2010 19:32:42 +0000 admin https://systemausfall.org/~poelchow-prozess/?p=1 Mehr als zweieinhalb Jahre nach einem Nazi-Angriff beginnt am 20. Januar in Rostock der Prozess gegen drei der Beteiligten – unter ihnen ein hochrangiger NPD-Funktionär.

Es war im Juni 2007, als an die 100 Neonazis und NPD-Kader eine Gruppe von nicht-rechten Jugendlichen auf der Zugfahrt zu einer Anti-NPD-Demonstration angegriffen haben. Nun, nach mehr als zweieinhalb Jahren, eröffnet das Landgericht Rostock ein Verfahren gegen drei der Angreifer. Damit gerät ein Überfall wieder in den Blick der Öffentlichkeit, der bisher zweifelhafte Wirkung hatte – und für die rechte Szene folgenlos enden könnte: Da die Polizei fahrlässig reagierte und ermittelte, kamen fast alle Angreifer unbehelligt davon; Öffentlichkeit und Presse ließen sich von der NPD bereden und interpretierten den organisierten Überfall als Auseinandersetzung zwischen Linken und Rechten; die Staatsanwaltschaft Rostock ermittelte lange Zeit gegen viele der Opfer; und die Neonazis des Bundeslandes können an die Gewalttat ungeniert als Erfolg erinnern.

30. Juni 2007, Pölchow

Als am 30. Juni 2007 knapp 60 Jugendliche in Schwaan in den Zug Richtung Rostock einstiegen, wussten sie von ihren Mitreisenden noch nichts. Die Gruppe hatte sich am Morgen von einem Musik-Festival auf den Weg in die Hansestadt gemacht, um sich dort an einer Demonstration gegen eine NPD-Aktion zu beteiligen. Zwischenzeitlich gerieten einige von ihnen verbal mit einer Handvoll mitfahrenden Rechten aneinander, die daraufhin beim Halt im kleinen Pölchow den Waggon verließen. Plötzlich wurden sie von der Gruppe der Neonazis überrascht: Teilweise vermummt warfen sie vom Bahngleis Steine gegen die Fenster, drangen in das Zugabteil, sperrten Fluchtwege ab, durchkämmten den Waggon und schlugen ungehemmt auf jede Person ein, die sie als antifaschistisch ausmachten. Mit Tritten, Faustschlägen, Flaschen und mit Quarzsand gefüllten Handschuhen gingen die Rechten auf die Jugendlichen los. Nach etwas Zeit trieben sie einige ihrer Opfer aus dem Zug: “An den Haaren haben sie die Leute rausgezogen und weiter auf sie eingeschlagen”, berichtete ein Augenzeuge. “Ich dachte, das wars.” Mit herausgerissenen Zaunlatten wurde auf dem Bahngleis auf die Betroffenen eingeprügelt, andere mussten spalierlaufen und wurden eine Böschung hinuntergestoßen. Es fielen höhnische Sprüche, ein paar der Angreifer filmten mit ihren Kameras und Handys das Geschehen.

Erheblich verletzte und traumatisierte Opfer, zerbrochene Scheiben, Blut und herausgerissene Haarbüschel prägten das Bild des Pölchower Bahnhofes nach dem Überfall. Mehrere der Betroffenen mussten daraufhin und in den folgenden Tagen im Krankenhaus behandelt werden.

Die Gruppe der Rechten bestand nicht aus Unbekannten. Ein Rädelsführer, der durch seine Kommandos herausstach, war Michael Grewe, Mitarbeiter der NPD-Landtagsfraktion, Gemeindeabgeordneter in Westmecklenburg und langjähriger Aktivist der Neonazi-Szene. “Heute seid ihr alle dran!”, gaben Betroffene seine Drohungen wieder. “Jetzt wird der Spieß umgedreht!” Am Rande standen Udo Pastörs, Fraktionsvorsitzender der NPD im Schweriner Landtag, sein Parlamentskollege und NPD-Landeschef Stefan Köster sowie der Landtagsabgeordnete Tino Müller. Ein Wort der Mäßigung, gar Empörung über den Gewaltexzess beobachtete niemand bei ihnen. Doch als nach 30 Minuten die Polizei eintraf, die Angreifer suchen und Spuren aufnehmen wollte, wurden sie aktiv. Man könne nicht warten, drängten sie, sondern müsse schleunigst zu der NPD-Demonstration nach Rostock weiterfahren. Und sowieso, gab Pastörs den Beamten zu Protokoll, wären sie die eigentlichen Opfer eines linken Überfalls geworden. Die “Kameraden” hätten sich zur Wehr setzen müssen.

Die Polizei gab nach, und während die NPD-Anhänger gemeinsam im Zug mit einigen der unter Schock stehenden Opfer nach Rostock gefahren wurden, malte sich die Parteispitze ihre Version weiter aus. Personen aus der “linksautonomen Szene”, hieß es in einer folgenden Pressemitteilung, wären beladen mit Rucksäcken voller Schotter- und Pflastersteine in dem Zug unterwegs gewesen. Mit Tränengas hätten sie unbeteiligte Fahrgäste angegriffen, sich auf sie gesetzt sowie mit den Steinen im Abteil um sich geworfen. Daraufhin hätten “nationale Aktivisten” eingegriffen und der “antifaschistische Mob” hätte fluchtartig den Zug verlassen.

Schutzbehauptungen der NPD bestimmen polizeiliche Ermittlungen

Diese offenkundigen Schutzbehauptungen wurden mit polemischen Angriffen gegen den von der Landesregierung geförderten Verein Lobbi ergänzt, der Opfer rechter Gewalt betreut – und sie fanden Gehör: In der Presseberichterstattung war in der Folge von Auseinandersetzungen zwischen Linken und Rechten die Rede. Auch die Polizei ließ sich schon kurz nach dem Überfall von der Eloquenz des NPD-Führungspersonals beeindrucken. Obgleich sie für den Tag eine erhöhte Gefährdungslage vorausgesehen hatte, war im Vorfeld keine polizeiliche Begleitung der Neonazi-Gruppe zur Verhinderung von Zwischenfällen organisiert worden. Noch in Pölchow behandelten die Beamten die Opfer des Angriffs wie Täter, fotografierte sie und nahm ihre Personalien auf. Einige der Betroffenen berichteten sogar von abfälligen Bemerkungen der Polizisten. Erst in Rostock wurden die Namen der Rechten aufgenommen. Schilderungen der Betroffenen und Hinweise, dass die Angreifer ihre Tat gefilmt hätten, wurden weitestgehend ignoriert, Kameras oder Handys nicht beschlagnahmt. Doch keiner der Schläger wurde noch vor Ort festgesetzt, es fanden keine sofortigen Untersuchungen statt. Stattdessen ließ die Polizei die Neonazis nach kurzer Zeit ziehen. Sie konnten im Anschluss an ihren Gewaltexzess ihre Demonstration “Linken Gewalttätern kein rechtsfreier Raum!” ungestört durchführen.

Erst nach einem Jahr stellte die Rostocker Staatsanwaltschaft kleinlaut ihre Ermittlungen gegen die Opfer des Angriffs ein – mangels Tatverdacht. Videos von den Vorfällen, die NPD-Fraktionschef Udo Pastörs großspurig der Polizei überreichen wollte, waren nie aufgetaucht. Und nachdem schon vor Ort keine Kameras beschlagnahmt worden waren, hat es im Nachhinein auch keine Hausdurchsuchungen gegeben – obwohl Neonazis im Internet mit Bildern von den Ereignissen prahlten.

Stattdessen entblößte die Polizei die Qualität ihrer Ermittlungen, als sie im April 2008 den Hauptverdächtigen Michael Grewe als “unbekannte Person” mittels Fahndungsfotos suchen ließ – jenen Michael Grewe, dessen Bild schon in der Berichterstattung über den Angriff veröffentlicht worden war und den Zeuginnen und Zeugen bereits wenige Tage nach den Ereignissen namentlich identifiziert hatten. Doch an den Berichten der Betroffenen schienen die Behörden wenig interessiert. Obwohl er die Aussage eines der Angegriffenen bereits wenige Zeit nach der Tat nach Rostock geschickt hatte, klagte ein Anwalt, hätte monatelang niemand geantwortet. Erst nach einem Jahr seien den Zeugen Fotos der Tatverdächtigen vorgelegt worden. “Hektik ist bei der Polizei nicht gerade ausgebrochen”, kommentierte eine andere Anwältin.

Rechter Lobgesang: “Endstation Pölchow”

In der Neonazi-Szene ist Pölchow unterdessen zu einem Synonym für erfolgreiche politische Gewalt geworden. “Weiter so!”, hieß es auf einschlägigen Webseiten, die “Kameradschaft Malchin” brüstete sich: “Ob im RE-Zug in Pölchow oder dem linken Studentenviertel, die Nationale Opposition hat (…) auf allen Ebenen einen klaren Sieg davon getragen.” Stolz trugen Neonazis T-Shirts zur Schau, die den Angriff unter dem Motto “Endstation Pölchow” glorifizierten.

Es ist nicht verwunderlich, dass die NPD-Führungsspitze des Bundeslandes in den Angriff in Pölchow verwickelt war und ihn medial zu rechtfertigen versucht. Brutale Gewalt gegen Andersdenkende und selbsternannte Feinde kennzeichnen die Neonazi-Szene und damit auch die eng mit ihr verbundene NPD. Die Partei liefert nicht nur mit ihrer beständigen rassistischen, nationalistischen und antisemitischen Propaganda die ideologische Rechtfertigung für Angriffe auf nicht-rechte Jugendliche oder Politiker, Migranten oder polnische Bürgeren und die Schändung von Gedenkstätten. Auch ihre Mitglieder haben wenig Berührungsängste gegenüber Gewalt: Neben Stefan Köster, Landesvorsitzender und wegen Tritten auf eine am Boden liegende Frau einschlägig verurteilt, verkauft der Rostocker Landtagsfraktionskollege Birger Lüssow in seinem Ladengeschäft und Versandhandel “Dickkoepp” Sturmhauben, Pfefferspray und T-Shirts mit gewaltverherrlichenden Aufdrucken oder stammt Tino Müller aus dem Landkreis Uecker-Randow aus einem rechten Milieu, das sich mit Selbstbezeichnungen wie “Aryan Warriors” rühmt.

Ein Erfolg ist der Angriff in Pölchow für die Neonazis nicht nur aufgrund einer Berichterstattung, die den Vorfall relativiert. Die nachlässigen polizeilichen und staatsanwaltlichen Ermittlungen, die anfänglich die Schuld bei den Opfern suchten, enden nach mehr als zwei Jahren fast ohne Ergebnis. Für die Mehrheit der Schläger und die widerspruchslos zuschauenden NPD-Funktionäre bleibt die Gewalttat folgenlos. Was für Konsequenzen sie für die verbliebenen drei Angeklagten hat, wird sich ab dem 20. Januar vor dem Landgericht Rostock zeigen.

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