All das hat das Landgericht Rostock zutreffend zur Grundlage eines Urteils gemacht, welches in Schuldspruch und Strafzumessung so gar nicht mit den getroffenen Feststellungen korrespondieren will. So wurden die Angeklagten zwar wegen Landfriedensbruch verurteilt, jedoch nur wegen einfacher Körperverletzung. Eine gemeinschaftliche Begehung sei nicht ersichtlich. Nicht?! Man stelle sich vor: aus einer Menge von ca. 120 Nazis vor dem angegriffenen Waggon lösen sich 2 Gruppen, die durch die hintere und vordere Waggontür in den Zug strömen, wobei zumindest die Anführer der beiden Gruppen (die beiden verurteilten Angeklagten) mehrfach auf Menschen einschlagen und -treten. In ihrem Schlepptau nicht nur ein Kameramann, der alles aufzeichnet, sondern weitere Beteiligte, die zusammen mit den beiden Angeklagten den Zug nach vermeintlichen Antifas durchkämmen. Diese Gruppen sorgen dafür, dass die angegriffenen Personen teils aus dem Zug in die draußen wartende Menge geschubst werden, wo es weitere Schläge und Tritte gibt oder die Zuginsassen „freiwillig“ den Waggon verlassen. Ein bewusstes Zusammenwirken der rechten Schläger also, was zu einer viel höheren Gefährlichkeit der konkreten Tatsituation führt als eine sog. einfache Körperverletzung. Ein Umstand, der zu einer gesetzlich vorgesehenen Mindestfreiheitsstrafe von 6 Monaten führt, zumindest nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB und der hierzu ergangenen Rechtsprechung.
Warum sich das Landgericht Rostock darüber hinwegsetzt, ist weder nachvollziehbar noch erklärbar. Entsprechendes gilt für die verhängten Strafen. Ein Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung für den mehrfach u.a. wegen Körperverletzungen vorbestraften Angeklagten Dennis F., dem die Verfahrensverzögerungen in die Hände spielten, so dass eine zwischenzeitlich verhängte Bewährungsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung nunmehr wohl erlassen wird. Ebenfalls eine Bewährungsstrafe für den Chef des Ordnungsdienstes der NPD, der, wenn man den Ausführungen seines Verteidigers Glauben schenkt, als Quasi-Polizist für Ordnung sorgen wollte. Daß er hierbei mindestens 4 Zuginsassen vorsätzlich verletzte und Sprüche wie „Reißt ihnen die Piercings raus“ u.ä. skandierte, hielt ihn nicht davon ab eine ominöse Notwehrlage gegen angeblich vermummte militante und bewaffnete Autonome zu konstruieren, die mit der Inaugenscheinnahme des vor Ort aufgenommenen Polizeivideos vollends in Staub zerfiel: kein einziger verletzter Nazi zu sehen, auch keine schwarz vermummten Autonomen, dafür eine Unzahl von Glassplittern, Haarbüschel und Blut im Zug sowie eine Vielzahl verletzter linker Jugendlicher.
Diesen wurde in der Urteilsbegründung zur Last gelegt, sie hätten viel zu spät Anzeigen erstattet. Interessanterweise gab es bereits vor Ort Versuche Strafanzeigen gegen die Nazis zu erstatten. Da aber Udo Pastörs gegenüber den eingetroffenen Ermittlungsbeamten sogleich eine an den Haaren herbeigezogene Geschichte von einem angeblich linken Überfall vom Stapel ließ, wurden die Angegriffenen als Beschuldigte belehrt und ausgiebig videographiert. Die Menschen, die sich gegen diese Behandlung wehrten und Widerspruch einlegten, waren dann auch die, gegen die sich das Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruch in Pölchow zunächst richtete.
Die Rechten sollten – nachdem der Zug aus Pölchow am Bahnhof Rostock eingetroffen war – ebenfalls videographiert werden. Diese Maßnahme wurde allerdings abgebrochen und die Aufzeichnungen aus „Datenschutzgründen“ gelöscht.
In der Urteilsbegründung stellt das Landgericht Rostock heraus, der Polizei sei kein Vorwurf zu machen. Kein Vorwurf für die unzureichenden Bildaufzeichnungen der Rechten, die nicht nur zu einer öffentlichen Fahndung nach einem bereits namentlich bekannten Beschuldigten führten, sondern auch zu der ursprünglich beschlossenen Nichteröffnung des Verfahrens aufgrund mangelhafter Lichtbildvorlagen.
Vor weiteren Überfällen der Nazis auf politisch anders denkende wird diese Entscheidung des Gerichtes wohl kaum abschrecken. So können die Verurteilten weiter grinsen, wie sie es die gesamte Verhandlung über, insbesondere bei den Vernehmungen der geschädigten Zeugen, getan haben.
Am Ende noch ein Wort zu einem Artikel der jungen Welt vom 17.03.2010, der den krönenden Abschluß einer Pannenserie darstellt: Wenn Sie, Herr Frank Brunner, in einer Hauptverhandlung feststellen, dass zuhörende Nazis private Daten aufzeichnen, sollten Sie den Mund aufmachen, dass dieses sofort unterbunden und die Aufzeichnungen eingezogen werden können. Eine telefonische Aussage im Februar 2010 „derzeit kein Interview zu geben“ sodann in falsche Zusammenhänge zu rücken, mit unvollständigen Zitaten aneinanderzureihen und 3 Wochen später – nach Urteilsverkündung – zu veröffentlichen, zeugt von der Qualität des Journalismus, die man insbesondere der Bildzeitung nachsagt.
Rita Belter
Zu ausgesprochen milden Strafen verurteilte das Landgericht Rostock die beiden vorbestraften Neonazis Dennis F. und Michael Grewe wegen Körperverletzung und Landfriedensbruch. Für Michael Grewe verhängte das Gericht eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten, ausgesetzt auf eine Bewährungszeit von zwei Jahren. Dennis F. wurde zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt, ausgesetzt auf drei Jahre. In der Urteilsbegründung stellte der Richter fest, dass es sich – anders als von den Neonazis behauptet – nicht um eine wechselseitige Schlägerei, sondern um einen rechten Übergriff auf nicht-rechte Jugendliche handelte. Für die „Vielzahl von Schlägen und Tritten gegen Personen, die eher dem linken Spektrum zugeordnet werden können, aber auch gegen Unbeteiligte“ gäbe es keinerlei Rechtfertigungsgründe.
Strafmildernd wurde vom Gericht gewertet, dass die Tat über zwei Jahre zurückliegt und die beiden Angeklagten Grewe und Franke seitdem nicht wieder strafrechtlich in Erscheinung getreten sind. Die Verurteilung müsse auf einfache Körperverletzung lauten, da der Einsatz von Waffen fragwürdig schien und den Angeklagten keine gemeinschaftliche Tathandlung nachzuweisen sei. Letzteres sorgte für Irritationen, zumal sich die Angeklagten Grewe und Franke in ihren Einlassungen selbst als gemeinschaftlich handelnde Akteure präsentiert hatten. Auch den ideologischen Hintergrund der Tat blendete das Gericht aus. Der Anwalt eines Nebenklägers findet das skandalös: „Die menschenverachtende Einstellung, die in dieser Tat zum Ausdruck kam, muss sich strafverschärfend auswirken!“ So wurden nach Aussagen von Betroffenen die Angreifer durch die Tat begleitende Kommandos wie „Reißt ihnen die Piercings raus!“ zur rechten Gewalt gegen Menschen, die sie als politische Gegner ausmachten, angeheizt. Dennis F., der im Prozessverlauf durch sein Auftreten im und vor dem Gerichtsaal keinerlei Reue gezeigt hatte, wurde zudem eine vermeintliche „Entschuldigung“ am Ende der Beweisaufnahme zu Gute gehalten – wenngleich diese lediglich jenen galt, die als „Unbeteiligte“ den Angriffen ausgesetzt waren.
Der dritte und ebenfalls mehrfach straffällig gewordene Angeklagte Stefan V. kam mit einem Freispruch davon. Nicht zuletzt aufgrund schlampiger Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft bleibt für ihn wie für eine Vielzahl von Neonazis der rechte Übergriff vom Juni 2007 folgenlos. Kritik an den Ermittlungsbehörden wies der Vorsitzende Richter während der Urteilsverkündung jedoch entschieden zurück. Der Polizei sei „kein Vorwurf zu machen“ und von einer „großen Polizeipanne“ könne keine Rede sein. Die Prozessgruppe hatte zuletzt mit einer Kundgebung am Tag vor der Urteilsverkündung auf die unrühmliche Rolle von Polizei und Staatsanwaltschaft im Fall Pölchow aufmerksam gemacht. „Die Pannen der Ermittlungen reichen von einer verfehlten Spurensicherung am Tatort, über Ermittlungen gegen die Opfer des rechten Angriffs bis hin zu dem blamablen Fahndungsaufruf nach NPD-Funktionär Michael Grewe. Auch im Prozess haben diese Verfehlungen ihre Fortsetzung gefunden, wie etwa an der Kritik gegenüber der Staatsanwältin deutlich wurde “, so Franziska Holtz, Pressesprecherin der Prozessgruppe Pölchow: „Genau genommen handelt es sich um eine ganze Serie von Pannen.“
Auch das Gerichtsurteil trifft bei der Prozessgruppe auf Unverständnis: „Das Urteil im Pölchow-Prozess hat ein fatales Signal gesetzt. Wer versucht Zivilcourage gegen Rechts zu zeigen, daraufhin im Zug von Neonazis brutal zusammengeschlagen wird und dann Anzeige erstattet, läuft augenscheinlich Gefahr selbst ins Fadenkreuz der Ermittlungen zu geraten, vor Gericht von Anwälten der Neonazis auseinander genommen und von den Angreifern verspottet zu werden,“ so Nils Behrendt von der Prozessgruppe. „Am Ende sitzen breit grinsende Neonazis auf der Anklagebank, die mit läppischen Strafen nach Hause gehen und weiter ihrer gewaltverherrlichenden und menschenverachtenden Ideologie frönen.“
Noch vor Beginn der Gerichtsverhandlung gingen Neonazis erneut gewaltsam gegen linke Prozessbeobachter vor. In der Gruppe von Rechten befanden sich neben den Angeklagten Grewe und Franke auch ranghohe NPD-Funktionäre wie der wegen gefährlicher Körperverletzung vorbestrafte Stefan Köster. Aus der Gruppe heraus schlugen und warfen Neonazis mit schweren Gegenständen um sich. Laut einem Bericht der taz warfen sie dabei auch einen Feuerlöscher aus mehreren Metern Höhe. Bei den Übergriffen wurden mehrere Menschen verletzt und mussten ärztlich behandelt werden. Der Neonazi David Petereit, der für die NPD in der Rostocker Bürgerschaft sitzt, filmte die Szenerie. Obwohl für den Prozess von Beginn an enorme Sicherheitsvorkehrungen galten, traf die Polizei erst kurz vor Beginn der Verhandlung ein und begann damit zunächst die Neonazis in den Gerichtsaal zu leiten. Während des Prozesses wurden die bis zu 60 anwesenden Neonazis schließlich durch eine Polizeikette streng von nicht-rechten Zuhörern getrennt.
]]>Ein Jahr Freiheitsstrafe, ausgesetzt auf drei Jahre Bewährung sowie eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten, ausgesetzt auf zwei Jahre. So lauten die ausgesprochen milden Urteile gegen die Neonazis Dennis F. und Michael Grewe wegen Landfriedensbruch in Tateinheit mit Körperverletzung, die heute vor dem Landgericht Rostock gesprochen wurden. Zudem müssen die beiden Neonazis 75 bzw. 150 Sozialstunden ableisten. Der dritte Angeklagte Stefan V. wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Innerhalb einer Woche kann Revision gegen das Urteil eingelegt werden. „Ein langes Verfahren geht zu Ende, zumindest für diese Instanz“, kommentierte der Richter Wolfgang Strauß zu Beginn des achten und letzten Verhandlungstages.
Richter bestreitet Ermittlungspannen
In seinem Ausführungen zum Tathergang folgte der Richter weitgehend den Aussagen der Betroffenen und stellte heraus, dass es sich – anders als von den Neonazis behauptet – nicht um eine wechselseitige Schlägerei, sondern um einen rechten Übergriff auf links-alternative Jugendliche handelte. Demnach begaben sich am 30. Juni 2007 etwa 50 bis 60 Besucher vom Fusion-Festival in Lärz, dem Aufruf zur Teilnahme an einer Demonstration gegen die NPD in Rostock folgend, mit mindestens einem Bus in Richtung Hansestadt. In Schwaan wurde die Fahrt mit der S-Bahn fortgesetzt. Die Jugendlichen – die ihrer Kleidung nach eher dem linken Spektrum zuzuordnen waren – eilten zum Zug, der schon in den Bahnhof eingefahren war und bestiegen den ersten Waggon. Dort trafen sie auf sieben Neonazis, die daraufhin mit verbalen Drohungen und im Zuge einer Rempelei am Haltepunkt Pölchow aus dem Waggon gedrängt wurden. Sichtbare Verletzungen trugen diese nicht davon. Die Angeklagten Michael Grewe und Dennis Franke, die Teil einer Gruppe von bis zu 150 Neonazis waren, die auf der Fahrt nach Rostock in den hinteren Waggons des Zuges reisten, nahmen diesen Vorfall mit weiteren Neonazis zum Anlass, um in den ersten Waggon zu gelangen. „Gar keine Diskussion“ gibt es nach Auffassung des Richters darüber, dass dabei eine Scheibe von Außen zu Bruch ging. Im weiteren Verlauf zeichnete Grewe für eine „Vielzahl von Schlägen und Tritten gegen Personen die eher dem linken Spektrum zugeordnet wurden, aber auch gegen Unbeteiligte“ verantwortlich. Grewe habe dabei nachweislich auf mindestens vier Personen eingeschlagen und auch die Tatbeteiligung von Dennis F. sei unstrittig. Da vor dem Zug weitere Neonazis im Spalier standen, zögerten die Betroffenen des Angriffs zunächst den Waggon zu verlassen. Vom Bahnsteig aus wurden einige Opfer schließlich über einen Jägerzaun geworfen und eine Böschung hinunter gestoßen.
Im weiteren Verlauf der Schilderung über den Tathergang verwahrte sich der Vorsitzende Richter Wolfgang Strauß gegen eine Kritik an den polizeilichen Ermittlungen. Der Polizei sei „kein Vorwurf zu machen“ und von einer „großen Polizeipanne“ könne nicht die Rede sein. Dabei verwies Strauß auch auf das Video vom Polizeieinsatz, indem die eingesetzten Polizeibeamten über Funk auf eine „Schlägerei“ zwischen Linken und Rechten am Bahnhof Pölchow in Kenntnis gesetzt wurden. Wie die Prozessgruppe Pölchow bereits berichtete, zeigten diese Aufnahmen jedoch auch die Spuren der Gewalt, die jeder Vorstellung einer wechselseitigen Auseinandersetzung diametral entgegenstehen und dokumentieren, wie die Betroffenen des Angriffs – viele von ihnen erheblich verletzt – im Gegensatz zu ihren Angreifern intensiv kontrolliert und videographiert wurden.
NPD-„Ordnungsdienst“ schlug wahllos auf Menschen ein
Die Verurteilung von Michael Grewe und Dennis F. müsse auf einfache Körperverletzung lauten. Der Einsatz von Waffen schien dem Gericht fragwürdig. Die Aussage eines Betroffenen, der im Prozess als Nebenkläger auftrat und berichtete Grewe habe mit Quarzsandhandschuhen zugeschlagen, wurde angezweifelt. Eine Unterscheidung der schlagkraftverstärkenden Handschuhe von gewöhnlichen Motoradhandschuhen sei nur schwer möglich. Auch sei den Angeklagten keine gemeinschaftliche Tathandlung nachzuweisen. Dies sorgte nicht zuletzt deshalb für Irritationen, weil die Angeklagten in ihren schriftlichen Einlassungen selbst über ihr Zusammenwirken mit weiteren Anhängern der rechten Szene Auskunft gaben. So teilte Dennis F. schriftlich mit, wie er „ziemlich zeitgleich“ mit Grewe „den Waggon betrat“, um später mit Grewe und „anderen […] Personen aus dem rechten Lager“ festzustellen, dass sich dort keine weiteren Rechten befinden.
Beide Angeklagte wurden des Landfriedensbruchs für schuldig befunden, da sie aus einer Gruppe von Menschen agierten. Durch das Verhalten von Michael Grewe, den das Gericht als „Rädelsführer“ des rechten Übergriffs ausmachte, sah das Gericht zudem den besonders schweren Fall des Landfriedensbruchs erfüllt. Da er ausgab durch seine Tätigkeit im „Ordnungsdienst“ der NPD um Recht und Gesetz bemüht zu sein, bezeichnete der Richter seine Taten als „besonders verwerflich“. Ihm sei strafverschärfend anzulasten, dass er in dieser Position „wahllos auf Menschen einschlägt.“ In dem Zug nach Rostock befanden sich auch Familien mit Kindern. Die Taten haben damit, so der Vorsitzende Richter, das „Sicherheitsgefühl der Bevölkerung“ beeinträchtigt.
Gericht verkennt rechte Tatmotivation
Kaum Relevanz wurde bei der Bestimmung des Strafmaßes den Vorstrafen der Angeklagten beigemessen, da sie im Fall von Grewe bereits mehrere Jahre zurückliegen und der Bewährungsverlauf von Dennis F. „positiv“ gewesen sei. Letzterem wurde auch zu Gute gehalten, dass er sich am Ende der Beweisaufnahme zu einer Art Entschuldigung durchgerungen hatte, die jenen galt, die als „Unbeteiligte“ den Angriffen ausgesetzt waren. Strafmildernd wurde vom Gericht zudem gewertet, dass der rechte Übergriff in Pölchow über zwei Jahre zurückliegt und die beiden Angeklagten Grewe und Franke seitdem nicht wieder strafrechtlich in Erscheinung getreten sind. Auch habe es durch die vorangegangene Rempelei im Zug einen Anlass für die Tat gegeben, der diese jedoch „in keinster Weise“ entschuldige.
Auf die politische Gesinnung der Angeklagten wollte der Richter keinen direkten Bezug nehmen, denn die Zugehörigkeit zu einer politischen Organisation dürfe keinen Einfluss auf das Strafmaß nehmen. Dass sich der Vorsitzende Richter für ein NPD-Verbot ausspreche, „stehe auf einem anderen Blatt.“ Das Gericht verkannte jedoch die rechte Tatmotivation, die während der Tatausführung deutlich wurde: Etwa durch Parolen und Kommandos, aber auch durch eine Art „Selektion“ der Opfer, über die Zeugen im Prozess berichtet hatten. Die Anwälte der drei Nebenkläger hatten in ihren Plädoyers eindrücklich auf den ideologischen Hintergrund der Gewalt hingewiesen. Dass dieser völlig ausgeblendet wurde sei „skandalös“, so ein Nebenklagevertreter.
Vor Urteil: Mehrere Menschen durch Neonazis verletzt
Noch vor Beginn der Gerichtsverhandlung gingen Neonazis erneut gewaltsam gegen linke Prozessbeobachter vor. In der Gruppe von Rechten befanden sich neben den Angeklagten Grewe und Franke auch ranghohe NPD-Funktionäre wie der wegen gefährlicher Körperverletzung vorbestrafte Stefan Köster. Aus der Gruppe heraus schlugen und warfen Neonazis mit schweren Gegenständen um sich. Laut einem Bericht der taz warfen sie dabei auch einen Feuerlöscher aus mehreren Metern Höhe. Bei den Übergriffen wurden mehrere Menschen verletzt und mussten ärztlich behandelt werden. Der Neonazi David Petereit, der für die NPD in der Rostocker Bürgerschaft sitzt, filmte die Szenerie. Obwohl für den Prozess von Beginn an enorme Sicherheitsvorkehrungen galten, traf die Polizei erst kurz vor Beginn der Verhandlung ein und begann damit zunächst die Neonazis in den Gerichtsaal zu lotsen. Während des Prozesses wurden die bis zu 60 anwesenden Neonazis schließlich durch eine Polizeikette streng von nicht-rechten Zuhörern getrennt.
Pressemitteilung der Prozessgruppe Pölchow vom 15. März 2010
Unter dem Motto „Rechter Gewalt offensiv entgegentreten!“ demonstrierten am 15. März etwa 250 Menschen in Rostock vor dem Gebäude der Staatsanwaltschaft. Der Ort für den Protest war nicht zufällig gewählt: Die Kundgebung sollte der Kritik an den schlampigen Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft Nachdruck verleihen und in Sichtweite von NPD-Bürgerbüro und Neonazi-Laden ein deutliches Zeichen gegen rechte Gewalt setzen. Musikalisch unterstützt wurde die Kundgebung durch die antifaschistische Band „Feine Sahne Fischfilet“.
Besonders eindrücklich waren die Schilderungen von Betroffenen des brutalen rechten Übergriffs, die am späten Nachmittag über einen Lautsprecherwagen durch die Doberaner Straße hallten und Passanten auf den eigentlichen Anlass der Kundgebung aufmerksam machten. Der liegt nun schon mehr als zweieinhalb Jahre zurück: Am 30. Juni 2007 machten sich etwa 60 links-alternative Jugendliche vom Fusion-Festival in Lärz mit dem Zug auf den Weg nach Rostock, um sich an Protesten gegen einen Aufmarsch der NPD zu beteiligen. Am Bahnhof Pölchow wurden sie von Neonazis aus einer Gruppe von mehr als 100 Rechten angegriffen. Die Neonazis stürmten die Bahn, schlugen und traten auf ihre Opfer ein und verletzten viele von ihnen erheblich.
Neben den Aussagen der Betroffenen, wurde in Redebeiträgen der Prozessgruppe Pölchow und einer antifaschistischen Gruppe aus Rostock auf die unrühmliche Rolle hingewiesen, die nicht nur den Angreifern, sondern auch den staatlichen Behörden im Fall Pölchow zukommt. Ihren fragwürdigen und fahrlässigen Ermittlungen ist es geschuldet, dass die Propaganda der NPD in der Öffentlichkeit Gehör fand, zunächst gegen die Opfer des Angriffs ermittelt und letztlich nur drei Tätern der Prozess gemacht wurde. Im Prozess selbst fiel die zuständige Staatsanwältin vor allem durch ihre Inaktivität auf und forderte Bewährungsstrafen. Die Staatsanwaltschaft Rostock sei „auf dem rechten Auge blind“, kritisierte der Anwalt eines Nebenklägers im Prozess. Am 16. März wird vor dem Landgericht Rostock um 13 Uhr das Urteil gegen die drei angeklagten Neonazis gesprochen.
Im Hinblick auf die Urteilsverkündung erklärt Franziska Holtz von der Prozessgruppe Pölchow: „Verurteilungen und Verbote ändern nichts an der breiten Zustimmung von Teilen der Bevölkerung zu menschenfeindlichen Ideologien. In Rostock treiben Neonazis auch weiterhin ihr Unwesen, etwa in der Rostocker Bürgerschaft, ihrem Szenegeschäft ‘Dickkoepp’ sowie dem NPD-Bürgerbüro. Derweil mobilisiert die NPD für einen Aufmarsch am 1. Mai in die Hansestadt. Diese und ähnliche Aktivitäten der Neonazis haben und werden immer wieder unseren Protest heraufbeschwören. Der Pölchow-Prozess hat einmal mehr gezeigt, dass Antifaschismus nicht dem Staat überlassen werden kann.“
]]>In der Verhandlung des rechten Überfalls in Pölchow ist einmal mehr deutlich geworden, wie brutal die Nazis gegen ihre Opfer vorgegangen sind: Ohne Hemmungen traten und schlugen sie auf sie ein, zerrten sie an ihren Haaren in den Mob der Angreifer, prügelten mit Holzlatten, warfen sie eine Böschung hinunter. Keiner der anwesenden NPD-Kader versuchte, die Neonazis von der Gewalt abzuhalten – warum auch, ist doch die Gewalt untrennbarer Teil jeder rechten Ideologie.
Stattdessen nahmen die Partei-Funktionäre die Schläger wohlwollend in Schutz: Während die im Internet ihren brutalen Exzess feierten und T-Shirts mit der Aufschrift “Endstation Pölchow” zur Schau stellten, wetterte die NPD über einen linken Überfall. Gegen diesen habe man sich zur Wehr setzen müssen, so die Neonazi-Partei gegenüber Presse und Polizei.
Und diese glaubten trotz gegenteiliger Bilder am Tatort diesen Lügenmärchen. Von Auseinandersetzungen zwischen “Linken und Rechten” schrieben sie, die Polizei ermittelte monatelang gegen die Opfer. Und vergaß dabei die eigentlichen Täter: Michael Grewe, ein überregional bekannter Neonazi-Funktionär und Kommunalpolitiker der NPD, wurde per Steckbrief als “unbekannter Randalierer” gesucht. Woher sollte die Polizei die Rechten auch kennen, hatte sie in Pölchow doch weder ihre Personalien aufgenommen noch die Videos beschlagnahmt, die die Neonazis eifrig von ihrem Überfall gemacht hatten. Diesen Ermittlungspannen ist es geschuldet, dass von den vielen Rechten nur drei auf der Anklagebank landeten – ganze zweieinhalb Jahre nach dem Angriff.
Doch was sie mit ihnen im Gericht anfangen sollte, schien die Staatsanwaltschaft nicht so richtig zu wissen. Ihre Beiträge im Gericht ließen sich an einer Hand abzählen. Und wenn die Staatsanwältin mal etwas zu sagen hatte, schien es die Tatverdächtigen noch zu entlasten. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Staatsanwaltschaft kümmerliche Bewährungsstrafen für die beiden Hauptverdächtigen forderte und einem sogar unterstellte, sich von der Neonazi-Szene distanziert zu haben.
Aber selbst das war den Angeklagten noch zu viel. Befragen lassen wollten sie sich nicht, aber unverfroren tischen der NPD-Funktionär Michael Grewe und Dennis Franke in Stellungnahmen dem Gericht Märchen auf, wie sie wagemutig gegen angreifende Linke vorgegangen seien. Die Anwälte, darunter das NPD-Landtagsmitglied Michael Andrejewksi, der Rostocker Hausanwalt der Neonazi-Szene Thomas Penneke oder dessen Kanzleikollege Sven Rathjens, sekundierten. In ihren Schauergeschichten hieß es, dass die Opfer einen Angriff der Neonazis erst hätten provozieren wollen oder mit Steinen aus dem Zug heraus die Rechten angegriffen hätten. Todesmutig und engelsgleich dagegen seien die Neonazis in den Waggon dieser angeblichen “Linksextremisten” gesprungen, um Ruhe herzustellen. Denn gewalttätig, so hieß es, könnten sie ja gar nicht sein, schließlich seien sie ja in der Friedenstruppe namens NPD-Ordnungsdienst aktiv. Die Polizei, so Neonazi-Anwalt Andrejewski, hätte auch nicht anders gehandelt.
Solche Phrasen sind es, mit denen seit Jahren Neonazi-Gewalt nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern kleingeredet oder legitimiert wird. Der Hass gegen Andersdenkende, gegen Menschen nicht-deutscher Herkunft oder auch gegen Obdachlose eint die rechte Szene, und brutale Gewalt ist Bestandteil wie logische Konsequenz ihres Hasses. Einschüchterungen, Drohungen und Übergriffe gehören zum Alltag von nicht-rechten Jugendlichen oder Migranten. Viele, so Opferberatungsstellen, nehmen dies als Normalität wahr und denken gar nicht mal mehr an den Gang zur Polizei oder Gegenwehr.
Nicht nur in der mecklenburgischen Provinz, sondern auch in Rostock und unserer unmittelbaren Nachbarschaft droht das Auftreten von Neonazis zum Alltag zu werden. Sie bedrohen alternative Jugendliche, schänden Gedenkstätten, greifen linke Projekte an oder werfen die Scheiben demokratischer Politiker ein. Nicht nur auf Flugblättern und in Schmierereien propagieren sie ihre Ideologie des Hasses. Nur ein paar Meter entfernt von hier verbreiten Neonazi-Laden und NPD-Büro seit Jahren ihre Hetzpropaganda und werden viel zu selten in ihrem Treiben gestört.
Eigeninitiative und ein starkes und selbstbewusstes Auftreten sind es jedoch, die Neonazis in die Schranken weisen können. Dem Staat können wir den Antifaschismus nicht überlassen: Die Polizei wirft Neonazis wie ihre Opfer unterschiedslos in einen Topf. Medien und vermeintlich linke Internetprojekte wie “Endstation Rechts” folgen dieser Argumentation und reden schnellstmöglich den “Extremismus” daher. Die rassistische, nationalistische und antisemitische Ideologie der Neonazis als Basis ihrer Gewalt blenden sie dabei aus. Der Staatsanwaltschaft, vor der wir heute stehen, war diese Ideologie keiner Erwähnung wert. Der Hass der Neonazis und ihre Propaganda sind jedoch die Grundlage wie auch der Kern jeder rechten Gewalt. Ein konsequenter Antifaschismus nimmt deshalb nicht Neonazis als Straftäter ins Visier, sondern eine politische Bewegung, die nichts anderes als die Barbarei herstellen will und ihren Ursprung in der Mitte der bürgerlichen Gesellschaft hat. Der Staat ist kein Antifaschist – nur das konsequente Engagement von uns allen vor Ort und auf der Straße kann rechte Gewalt effektiv eindämmen.
]]>Pressemitteilung der Prozessgruppe Pölchow vom 10. März 2010
Mit einer Kundgebung vor der Rostocker Staatsanwaltschaft werden Antifaschist/innen einen Tag vor der Urteilsverkündung im Pölchow-Prozess auf rechte Gewalt sowie die schlampigen Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft aufmerksam machen. Einmal mehr ist dadurch deutlich geworden, dass die Auseinandersetzung mit Neonazis nicht dem Staat überlassen werden darf, sondern durch starkes und entschlossenes Engagement in der Gesellschaft geführt werden muss.
Im Sommer 2007 hatten Neonazis auf dem Weg zu einer NPD-Demonstration eine nicht-rechte Jugendgruppe in Pölchow brutal überfallen. Die Behörden ermittelten lange gegen die Opfer und nur träge gegen die eigentlichen Angreifer, so dass sich nach zweieinhalb Jahren nur drei Rechte vor dem Landgericht verantworten müssen. Polizei und Teile der Öffentlichkeit waren der NPD-Propaganda auf den Leim gegangen, die aus den Angreifern Opfer eines “linksextremen” Überfalls gemacht hatte. Im Prozess machten zwei der Angeklagten – darunter der Mitarbeiter der NPD-Landtagsfraktion Michael Grewe – aus dem Überfall weiterhin eine Notwehrhandlung, zugleich schilderte eine Vielzahl von Betroffenen das erschreckende Ausmaß der Gewalt und die Rohheit der Neonazis. Während die Nebenklage auf das ideologische Motiv des Angriffs und die fehlende Reue der Angeklagten hinwies, ignorierte die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer den neonazistischen Hintergrund der Tat. Einem der Angeklagten unterstellte sie sogar eine Distanzierung von der rechten Szene und forderte für die beiden mutmaßlichen Haupttäter Bewährungsstrafen. Das Urteil wird für den 16. März erwartet.
“Im brutalen Gewaltexzess gegen ihre Opfer offenbart sich der Kern jeder rechten Ideologie”, so Franziska Holtz, Pressesprecherin der Prozessgruppe Pölchow. “Polizei und Justiz dagegen scheinen sie kleinreden und den politischen Gehalt der Straftat ausblenden zu wollen. Dies zeigt einmal mehr, dass der Kampf gegen Nazis nicht den Behörden überlassen werden kann. Wir rufen deshalb dazu, auf am 15. März mit uns gegen menschenverachtende Ideologien, ihre Träger und die gesellschaftlichen Zustände zu demonstrieren, in denen rechte Einstellungen immer wieder in rechter Gewalt münden!”
Die Kundgebung unter dem Motto “Rechter Gewalt offensiv entgegentreten” findet am 15. März ab 17 Uhr vor der Staatsanwaltschaft Rostock in der Doberaner Straße 116 statt. Es sind mehrere Redebeiträge unter anderem von Betroffenen des Überfalls sowie ein Auftritt der antifaschistischen Band Feine Sahne Fischfilet geplant.
]]>Pressemitteilung der Prozessgruppe Pölchow vom 05. März 2010
Freisprüche forderten zwei der Verteidiger heute vor dem Landgericht Rostock im Prozess um den Neonazi-Überfall auf nicht-rechte Jugendliche in Pölchow im Sommer 2007, ein weiterer plädierte maximal für eine Bewährungsstrafe. Der NPD-Landtagsabgeordnete Michael Andrejewski hielt in seinem Plädoyer weiterhin die Neonazi-Propaganda eines “linken” Überfalls aufrecht und verglich Zivilcourage gegen Rechts mit Rassismus und Antisemitismus.
Den brutalen Angriff auf jene, die nicht in das Weltbild der Neonazis passen, bezeichnete Andrejewski als “Notwehr” gegen einen angeblichen “linken” Angriff. Dass es diesen nicht gegeben hat und selbst die von der Verteidigung vorgeladenen Entlastungszeugen aus der rechten Szene nicht angeben konnten, geschlagen worden zu sein, ignorierte er. Stattdessen setzte er in typischer NPD-Diktion Zivilcourage gegen Neonazis und ihre Ideologie mit rassistischer und antisemitischer Gewalt gleich. Da ihm alle Betroffenen unglaubwürdig waren und Grewe aufgrund seiner Tätigkeit im NPD-Ordnungsdienst sehr um Recht und Gesetz bemüht sei, forderte er dessen Freispruch. Der Verteidiger von Dennis F., Sven Rathjens, schien von der Unschuld seines Mandanten nicht gänzlich überzeugt zu sein und plädierte maximal für eine Bewährungsstrafe von sechs Monaten wegen fahrlässiger Körperverletzung. Der Rechtsanwalt des dritten Angeklagten forderte im Einklang mit der Staatsanwaltschaft einen Freispruch, da ihm keine konkrete Tatbeteiligung nachgewiesen werden könne.
Im Verlauf des Prozesses war die Verteidigung mehr als einmal aufgefallen. Diese umfasst nicht nur Michael Andrejewski, der seit Jahrzehnten aktiver Kader der extremen Rechten und der NPD ist. Ihm zur Seite stand in der Verteidigung Michael Grewes der Rostocker Anwalt Thomas Penneke, der als Hausanwalt der Neonazi-Szene Mecklenburg-Vorpommerns eine Vielzahl von rechten Kadern und Gewalttätern verteidigt. Er ist Mitglied einer Burschenschaft im Dachverband der “Deutschen Burschenschaft”, der von vielen Seiten Nähe zur extremen Rechten vorgeworfen wird. Sven Rathjens ist „Bundesbruder“ und Kanzleikollege Pennekes. In der Zeugenbefragung war offenkundig geworden, dass er zwei Entlastungszeugen der rechten Szene zu einem gemeinsamen Vorgespräch geladen hatte. Den Kontakt hatte der Rostocker Neonazi David Petereit vermittelt, der einem dieser Rechten auch Einblick in die Anklageschrift gewährte, die Teil der Ermittlungsakten ist. Die Einlassungen der Angeklagten Michael Grewe und Dennis F. waren auf einschlägigen rechten Internetseiten im Wortlaut veröffentlicht worden. Mit Drohungen über juristische Auseinandersetzungen versuchte Rathjens, die Berichterstattung der Prozessgruppe Pölchow über die Verhandlung einzuschränken.
“Teile der Verteidigung arbeiteten gemeinsam mit der Neonazi-Szene weiter an der Umschreibung des rechten Überfalls in Pölchow”, kommentiert Franziska Holtz, Pressesprecherin der Prozessgruppe Pölchow. “Sie machen sich dadurch gewollt oder ungewollt zu Handlangern der extremen Rechten, die jede noch so brutale Gewalttat gegen nicht-rechte Jugendliche, Migranten, Journalisten oder linke Politiker ideologisch zu rechtfertigen weiß.”
Ausführliche Informationen sind im Prozessbericht zum achten Verhandlungstag zu finden.
]]>Freispruch forderte das NPD-Landtagsmitglied Michael Andrejewski für seinen Mandanten und Parteikollegen Michael Grewe und meinte, Zivilcourage gegen Rechts sei vergleichbar mit Antisemitismus oder Rassismus. Die Verteidiger der Angeklagten hielten am heutigen achten Verhandlungstag ihre Plädoyers im Prozess um den Überfall von Neonazis auf nicht-rechte Jugendliche in Pölchow im Sommer 2007, das Urteil wird am 16. März erwartet.
Bereits in ihrem Plädoyer am vergangenen Verhandlungstag hatte die Staatsanwältin mitgeteilt, dass Stefan V. freigesprochen werden müsse. Es sei zwar davon auszugehen, dass er an dem Angriff beteiligt war, doch im Prozess konnte ihm keine genaue Tat nachgewiesen werden. Diesem Urteil schloss sich dessen Verteidiger Thomas Kampelmann an und wies darauf hin, dass nur ein Zeuge ihn erkannt hat, über genauere Beteiligungen an dem Angriff jedoch keine Angaben machen konnte.
NPD bemüht antisemitischen Vergleich
Dem folgte das NPD-Landtagsmitglied Michael Andrejewski mit einem Plädoyer für seinen Parteikollegen und -Mitarbeiter Michael Grewe. Er wollte einmal mehr glauben machen, dass der Angriff der Neonazis auf den Waggon der nicht-rechten Jugendlichen durch diese provoziert, gar gezielt herbeigeführt worden sei, als sie eine kleinere Gruppe von Neonazis zum Verlassen des Abteils aufgefordert hatten. Die auch als Zeugen vorgeladenen Rechten seien dabei selbst geschlagen worden, behauptete er, obgleich von diesen vermeintlichen Opfern niemand das vor Gericht ausgesagt hatte. Ausholend verurteilte Andrejewski jedoch diese Konfrontation mit den Neonazis, die er als Versuch bewertete, eine Reaktion der größeren Gruppe Rechter zu provozieren. Solch ein Engagement gegen Neonazis, die sich bewusst für eine mörderische und menschenverachtende Ideologie aussprechen, setzte er gleich mit antisemitischer und rassistischer Gewalt. Man stelle sich vor, fragte er in bekannter NPD-Diktion, Ausländer oder Juden würden aus einem Zug herausgeworfen werden. Dahinter verberge sich eine „Apartheidsgesinnung der linken Schläger“. Dabei räumte er selbst ein, die Rechten seien „billig davon gekommen“. Würde Andrejewski mit Linken in einem Zug sitzen, würde er sofort sein Testament machen.
Grewe zum Hilfs-Sheriff stilisiert
Dass Michael Grewe in den Waggon der nicht-rechten Jugendgruppe stürmte, wertete Michael Andrejewski als Notwehrhandlung und einen Versuch zur Hilfe. Zynisch kommentierte er, der Besitz eines Zugtickets habe Grewe zum Betreten des Waggons ermächtigt. Er hätte „dabei genau so gehandelt, wie ein Polizeibeamter auch“. Die Aussagen der Betroffenen bewertete Andrejewski als abgesprochen und unglaubwürdig, während der Verteidiger stattdessen Berichte von Zeugen wie Nadine B. – die sich unentwegt in Widersprüche verstrickte, Lang- und Kurzhaarige verwechselte und Linke im Zug Steine hin- und herwerfen gesehen haben will – als seriös anführte.
Ausführlich ließ er sich über Grewes Frisur wie auch über Zeugenaussagen über dessen Einsatz von Quarzsandhandschuhen aus. Da der Neonazi und Aktivist des NPD-Ordnungsdienstes wisse, dass solche bei Demonstrationen nicht erlaubt seien, würde er sie natürlich auch nicht mit sich führen. Sein Mandant wisse, dass das Tragen von Waffen strafbar sei – derselbe Grewe, bei dem bereits verbotene Waffen wie eine Maschinenpistole und Munition gefunden worden sind. Ohne diese Waffe und angesichts der Notwehr würde jedoch auch der Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung nicht zutreffen. Des Landfriedensbruchs hätte Grewe sich nicht schuldig gemacht, da zwischen den Angreifern im Zug und den prügelnden Neonazis auf dem Bahnsteig keine räumliche Nähe bestanden hätte. Es sei fragwürdig, ob Grewe überhaupt Teil einer Menschenmenge gewesen sei. Er wäre nach Auffassung von Andrejewski freizusprechen.
„Geschätzter“ NPD-Kollege
Der Verteidiger von Dennis F., der Rostocker Anwalt Sven Rathjens, schloss sich dem Plädoyer des NPD-Landtagsabgeordneten an und wollte die Aussagen seiner „geschätzten Kollegen“ unterstrichen wissen. Den Überfall der Neonazis bewertete er als Folge eines „linken“ Angriffs, bei dem Rechte zur Hilfe gekommen seien. Diese Nothilfe sei gerechtfertigt gewesen, weshalb er für seinen Mandanten wegen fahrlässiger Körperverletzung maximal eine Bewährungsstrafe von sechs Monaten forderte. Sein Bedauern gelte jenen, meinte er abschließend, die als Unbeteiligte in die Ereignisse hereingezogen worden seien. Dem schloss sich noch kurz sein Mandant F., während Michael Grewe und Stefan V. auch zum Prozessende sich eines Kommentars enthielten.
Das Urteil wird am 16. März verkündet.
Weitere Informationen zu den Ereignisse in Pölchow ausführlich unter:
http://www.poelchow-prozess.info
Prozessgruppe Pölchow, 05. März 2010
]]>Der „ideologische Brandstifter“ von Rostock-Lichtenhagen
Michael Andrejewski begann 1982 in der Hansestadt Hamburg zunächst ein Studium der Volkswirtschaftslehre und drei Jahre später ein Jura-Studium. Nahezu zeitgleich mit Beginn seiner akademischen Laufbahn nahm mit der Gründung der „Hamburger Liste für Ausländerstopp“ (HLA) im April 1982 auch die politische Laufbahn von Michael Andrejewski ihren Anfang. Er fungierte als stellvertretender Vorsitzender dieser NPD-nahen Vereinigung und engagierte sich 1989 zudem als Sprecher der Hamburger DVU-Hochschulgruppe.
Nach der Wiedervereinigung verlagerte Andrejewski sein politisches Betätigungsfeld in die neuen Bundesländer und wurde vornehmlich in Rostock aktiv. Dort setzte er sein Studium fort und war Mitbegründer der rechten Gruppierung „Rostock bleibt deutsch“.
Überregionale Bekanntheit erlangte Michael Andrejewski, nachdem ein Mob aus Neonazis und Anwohnern im August 1992 über mehrere Tage hinweg unter dem Beifall tausender Zuschauer eine Flüchtlingsunterkunft im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen angegriffen hatte. Die antiziganistisch motivierten Angriffe hatten sich später auf ein Wohnheim vietnamesischer Vertragsarbeiter ausgeweitet. Etwa 120 Menschen konnten nur knapp dem Tod in den Flammen entkommen. Andrejewski zeichnete im Vorfeld des Pogroms namentlich für ein Flugblatt verantwortlich, das zum „Widerstand gegen die Ausländerflut“ aufgerufen hatte. Der Aufruf firmierte unter der „Aktion Rostock bleibt deutsch“ mit einer Hamburger Postfachadresse und wurde tausendfach in und um Rostock-Lichtenhagen verteilt. An die „Lieben Rostocker Landsleute“ gerichtet hieß es dort unter anderem, die HLA wolle dazu „anregen, in Rostock eine Bürgerinitiative zu gründen, die deutsche Interessen […] vertritt“. Bezugnehmend auf dieses Flugblatt äußerte Andrejewski 2007 im „Deutschland Radio“, der Aufruf stehe nicht im Zusammenhang mit dem Asylbewerberheim und habe „überhaupt nicht zur Gewalt aufgerufen“. Gemäß dieser Logik fand die rassistische Hetze bereits vier Monate nach dem Pogrom durch die von ihn gegründete „Aktion Mecklenburg/Vorpommern bleibt unser“ (MBU) in Rostock unbeeindruckt ihre Fortsetzung.
Der NPD trat Andrejewski 1994 bei. Er verließ die Stadt Rostock und unterstützte bis zum Jahr 2000 bundesweit die Wahlkämpfe der neonazistischen Partei. Nach einer zweijährigen Referendariatszeit in Stendal beendete er im Alter von 43 Jahren sein Studium mit dem Zweiten Staatsexamen.
Anwalt der „kleinen Leute“?
Im Jahr 2003 ließ sich Michael Andrejewski in einer Plattenbausiedlung in der Kleinstadt Anklam im Landkreis Ostvorpommern nieder. In dem 15.000-Einwohner-Städtchen waren der NPD-Politiker zunächst arbeits- und seine Partei regional nahezu bedeutungslos. Nach nur einem Jahr gelang ihm jedoch mit acht Prozent der Wählerstimmen der Einzug in den Anklamer Stadtrat. Zudem vertritt er die NPD seither im Kreistag von Ostvorpommern. Andrejewski gilt als der aktivste Kommunalpolitiker der NPD im Bundesland. Bereits mehrfach ist es ihm gelungen, auf den Meinungsbildungsprozess in der Anklamer Stadtvertretung Einfluss zu nehmen und sich zum Anwalt der „kleinen Leute“ zu stilisieren. Ideologische Botschaften verknüpft er mit örtlichen sozialen Problemen. So etwa, wenn Andrejewski mit Erfolg den Erhalt einer Kinderbibliothek gegen die Förderung einer Gedenkstätte für Opfer der Wehrmachtsjustiz ausspielt oder Debatten um die Haushaltspolitik zur Pseudo-Systemkritik nutzt. Seine in der Kommunalpolitik gemachten Erfahrungen hat Michael Andrejewski für seine Parteikollegen in einem „Leitfaden für die kommunalpolitische Arbeit“ zusammengefasst und dazu genutzt, mit parlamentarischen Aufgaben überforderte NPD-Kommunalpolitiker in der Region aktiv in ihrer Arbeit zu unterstützen.
Zur Bundestagswahl 2005 kandidierte Andrejewski als NPD-Spitzenkandidat. In Vorbereitung auf die Landtagswahlen 2006 hatten Michael Andrejewski und der Kameradschaftsführer Tino Müller ein Praktikum bei der sächsischen NPD-Landtagsfraktion absolviert. Kurz darauf wurde Andrejewski in den Landtag gewählt, wo er seither als innenpolitischer Sprecher der NPD-Fraktion auftritt und für Rechtsfragen zuständig ist. „Landtagszirkus“, so Andrejewski gegenüber der „TAZ“, sei für ihn jedoch nebensächlich. Die Wähler der NPD wären schon „[…] zufrieden, wenn wir denen in Schwerin ordentlich die Meinung geigen.“ Das „Bürgerbüro“ des Landtagsabgeordneten befand sich zunächst bei einem „nationalen Wohnprojekt“ in Salchow – einem abgelegenen Privatgrundstück vor den Toren Anklams – und diente der Anklamer Wohnbevölkerung folglich kaum als Anlaufstelle. Seit Ende 2008 stellt Andrejewski sein Angebot von Sprechstunden und „Hartz IV“-Beratungen in den Räumen der „Pommerschen Volksbücherei“ bereit, über die auch seine Anwaltskanzlei gemeldet ist. Die ehemalige Kaufhalle in der Anklamer Innenstadt war zuvor von den Kameradschafts-Aktivisten und NPD-Vorstandsmitgliedern Enrico Hamisch und dem wegen Körperverletzung verurteilten Alexander Wendt unbemerkt ersteigert worden. Letzterer ist – neben dem Stralsunder NPD-Kader Dirk Arendt – für Andrejewski als Wahlkreismitarbeiter tätig.
Beflügelt von seinen Wahlerfolgen äußerte Andrejewski gelegentlich Ambitionen, einst den Bürgermeister von Anklam zu stellen. Zur Anklamer Bürgermeisterwahl im April 2010 will er diesen vollmundigen Ankündigungen Taten folgen lassen. Zuvor wird die Rechtsaufsicht des Landkreises Ostvorpommern jedoch über seine vermeintliche Verfassungstreue befinden. Bereits bei den Landratswahlen im Mai 2008 scheiterte Michael Andrejewski – wie auch sein vorbestrafter Parteikollege Stefan Köster in Ludwigslust – an den Verfahrensregeln: Kreis- und Landeswahlausschuss zweifelten an seiner Verfassungstreue und versagten ihm die Kandidatur. Ganz unverhohlen spricht Andrejewski, der sich selbst als „Berufsrevolutionär von Rechts“ bezeichnet, von seinem Ziel, eine „nationale Alternative“ zum „herrschende[n] Parteiensystem“ zu schaffen.
]]>Pressemitteilung der Prozessgruppe Pölchow vom 01. März 2010
Nach dem Ende der Beweisaufnahme im Prozess um den Überfall einer Gruppe Neonazis auf nicht-rechte Jugendliche in Pölchow im Sommer 2007 wurden heute die ersten Plädoyers gehalten. Während die Nebenklagevertreter der Betroffenen Haftstrafen und damit ein deutliches Zeichen gegen rechte Gewalt forderten, plädierte die Staatsanwältin auf Bewährungsstrafen für die beiden mutmaßlichen Haupttäter. Einem unterstellt sie sogar eine Distanzierung von der rechten Szene, obgleich er selber diese nie behauptet hat.
Sowohl die Staatsanwältin wie auch die Nebenklage machten in ihren Schlussworten deutlich, dass sich in Pölchow ein Angriff von Neonazis auf eine nicht-rechte Reisegruppe ereignet hat. Schutzbehauptungen der rechten Szene, “Linksextremisten” hätten einen Überfall auf die NPD-Anhänger geplant, sind eindeutig hinfällig und nicht mehr als “Lügenkonstrukte”, wie eine Anwältin betonte. Stattdessen wurde in den Plädoyers deutlich auf die Aktivitäten von Dennis F. und des NPD-Mitarbeiters Michael Grewe hingewiesen. Sie sollen durch die Gewalt, Grewe zudem durch Kommandos an andere Schläger und Drohungen gegenüber den Opfern aufgefallen sein.
Für Michael Grewe und Dennis F. forderte die Staatsanwältin Strafen von 24 bzw. 16 Monaten, ausgesetzt auf vier bzw. drei Jahre Bewährung. Ein dritter Angeklagter sei mangels Beweisen freizusprechen. Dennis F. hielt sie sogar eine mutmaßliche Distanzierung von der rechten Szene zu Gute – obgleich dieser weder im Prozess Reue noch Kooperationsbereitschaft gezeigt und das Gericht mit einer abenteuerlichen Einlassung verhöhnt hat. Zu den immer anwesenden Neonazi-Kadern hält er engen und freundschaftlichen Kontakt, seine Einlassung war unmittelbar nach dem letzten Verhandlungstag im Volltext auf einer einschlägigen Internetseite erschienen.
Die drei Vertreter der Nebenklage plädierten stattdessen für Haftstrafen zwischen zwei und fünf Jahren für die beiden Angeklagten Michael Grewe und Dennis F. Beide seien aktive Mitglieder oder Anhänger der Neonazi-Szene und gemäß ihrer Anschauungen gibt es für sie gar keinen anderen Weg, als Politik mit Gewalt durchzusetzen. Ihre Tat sei “ideologieimmanent” und keine zufällige “Wirtshausschlägerei” gewesen. Angesichts der Schwere des brutalen Angriffs seien Bewährungsstrafen indiskutabel.
“Der Überfall von Pölchow ist nicht eine wahllose Auseinandersetzung, sondern steht im Einklang mit Aktivismus und Ideologie der Neonazi-Szene”, kommentiert Franziska Holtz, Pressesprecherin der Prozessgruppe Pölchow. “In brutaler Gewalt gegen mißliebige Menschen offenbart sich der Kern extrem rechter Anschauungen. Die Staatsanwaltschaft jedoch scheint auf dem rechten Auge blind zu sein, wenn sie diesen Hintergrund ignoriert und sogar einer vermeintlichen Distanzierung eines der Angeklagten von der rechten Szene Glauben schenkt.”
Ausführliche Informationen sind im Prozessbericht zum siebenten Verhandlungstag zu finden.
]]>